Italienische Novellen, Band 2
geschrieben habe, was ich nach meinem Tode von ihm wünsche. Ich habe darin auch Sorge getragen, deine getreuen Dienste zu belohnen, und bin überzeugt, daß mein Vater meinen letzten Willen achten wird. Nun geh! Ich fühle meinen Tod nahen, denn das grausame Gift durchdringt schon alle meine Glieder und ergreift sie. Zieh die Stütze der Gruft hinweg und laß mich bei meiner Julia sterben!«
Pietro war von dieser Anrede so tief gerührt, daß er meinte, das Herz im Leibe müsse ihm darob bersten. Er ermangelte nicht, seinem Herrn gar viele Worte zu erwidern; aber sie waren vergeblich, denn es gab keine Hilfe mehr gegen die tödliche Wirkung des Giftes. Seine Julia in seinen Armen haltend und sie ohne Unterlaß küssend, erwartete Romeo seinen nahen, unabwendlichen Tod und gebot noch öftere Male seinem Diener, die Gruft zu schließen. Währenddessen erwachte nun aber Julia allmählich wieder, in der die Wirkung des Pulvers aufgehört hatte tätig zu sein, und sprach, als sie fühlte, daß sie geküßt wurde, in der Meinung, sich in den Armen des Bruders Lorenzo zu befinden, der gekommen sei, sie fortzubringen, und sich etwa von einer unlauteren Begierde hinreißen lasse, sie zu küssen: »Ach, ehrwürdiger Pater Lorenzo! Haltet Ihr so das Versprechen, das Ihr meinem Romeo gegeben habt? Laßt mich los!« – Dabei machte sie eine gewaltsame Bewegung, um sich ihm zu entziehen, schlug die Augen auf und erblickte sich in Romeos Armen, den sie wohl erkannte, obgleich er deutsche Kleidung trug. Sie sagte zu ihm: »Wehe mir! Du bist hier, mein süßes Leben? Wo ist Bruder Lorenzo? Warum bringst du mich nicht aus diesem Grabgewölbe hinweg? Oh, laß uns um Gottes willen gehen!«
Als Romeo Julia die Augen öffnen sah und sie reden hörte und sich also überzeugte, daß sie nicht gestorben war, sondern lebte, empfand er mit einem Male unsägliches Vergnügen und unsäglichen Schmerz. Weinend und sein geliebtes Weib an seine Brust drückend, rief er aus: »Ach, du Leben meines Lebens und Seele meines Körpers! Welcher Mann auf Erden hatte jemals eine solche Freude, als mir gegenwärtig zugeteilt wird, der ich, des festen Glaubens, daß du gestorben seiest, dich lebend und gesund in meinen Armen halte! Aber wessen Schmerz kam auch jemals dem meinen gleich, und wer wurde mit einem herberen Herzensleiden heimgesucht als ich, der ich fühlen muß, daß mir das Ende meiner bejammernswerten Tage jetzt genaht ist, und daß gerade zu der Zeit mir das Leben entweicht, da ich den höchsten Genuß in ihm finden könnte! Wenn ich noch eine halbe Stunde am Leben bleibe, so ist dies die längste Frist, auf die ich hoffen darf. Ist wohl ein solcher Zwiespalt schon erhört, wie er sich jetzt in meinem eignen Innern befindet? Zu einer und derselben Zeit genieße ich die höchste Überraschung und Befriedigung, dich, die ich für tot hielt und beweinte, am Leben vor mir zu erblicken, und muß ich doch wieder in den tiefsten Gram versinken, indem ich mir bewußt werde, daß ich dich, du mir über alles teure Geliebte, so bald auf immer verliere. Ganz gewiß freilich waltet in mir die Freude über deinen Anblick vor der peinlichen Ahnung der nahen Trennung von dir vor, und so bitte ich denn auch den Herrgott, all die Jahre, die er meiner unglücklichen Jugend entzieht, der deinigen zu deinem irdischen Glücke hinzuzufügen.«
Als Julia Romeo so reden hörte, sprach sie zu ihm, halbaufgerichtet: »Was für Worte, mein teurer Freund, richtest du da an mich? Ist das der Trost, den du mir geben solltest? Bist du von Mantua herübergekommen, auf daß du mir solche Kunde bringest? Was ist mit dir geschehen? Was empfindest du?«
Hier erzählte ihr der unglückliche Romeo, wie er dazu gekommen war, das Gift zu sich zu nehmen. »Oh, wehe mir!« rief Julia, »was muß ich hören? Was sprichst du da? Ich Unglückliche! Also hat Bruder Lorenzo dir nichts von dem Anschlage geschrieben, den wir miteinander verabredet hatten? Er versprach mir doch, dich von allem zu unterrichten.« – Nunmehr erzählte das trostlose Weib, voll der bittersten Wehmut, weinend, schreiend und schluchzend, ja fast wahnsinnig vor Schmerz, ihrem sterbenden Gatten, was sie in Gemeinschaft mit dem Bruder Lorenzo ersonnen hatte, um sich von der Notwendigkeit zu erretten, sich dem von ihrem Vater ihr aufgedrungenen Verlobten zu vermählen.
Romeo hörte sie, dem wildesten Grame hingegeben, an und sah mit einem Male, während sie sich über Himmel und Sterne und alle Elemente in ihrem
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