Italienische Novellen, Band 2
»Dies wird deutlich durch die tägliche Erfahrung bewiesen, daß mancher eine Frau liebt, die sich nun und nimmer bestimmen läßt, ihm hold zu sein, während die andere nach ihm seufzt, die er zu lieben sich nicht entschließen kann.«
In Verfolg dieses Gesprächs sagte Lattanzio: »Wahrlich, Romulo, du hast recht, es ist wirklich so. Ich selbst bin noch vor wenigen Monaten von einem der schönsten Mädchen dieser Stadt geliebt worden, die erst kürzlich aus Rom gekommen war. Ich bin überzeugt, daß ich ihr ganzes Herz besaß, und auch ich liebte sie mit Leidenschaft; aber sie verreiste, ich weiß nicht wohin, und blieb lange abwesend; in der Zwischenzeit kam mir diese übermütige Catella zu Gesicht, um derenwillen ich die Liebe zu jener vergaß und sie gänzlich hintansetzte, um dieser Undankbaren zu dienen. Jene erste kehrte darauf zurück und schickte mir Briefe und Boten, aber ich kümmerte mich nicht darum.«
»Herr«, hub jetzt Romulo an, »so geschieht Euch recht: Ihr empfangt den wohlverdienten Lohn Eurer Untreue; denn wenn ein so schönes Mädchen, wie Ihr mir sagt, Euch so zärtlich liebte, so tatet Ihr das schreiendste Unrecht, sie dieser aufzuopfern, die, ohne es nur zu wissen, jene zu rächen begonnen hat. Wir müssen lieben, wer uns liebt, nicht dem folgen, der vor uns flieht. Wer weiß, ob jenes schöne Kind Euch nicht noch liebt und sich um Euretwillen abhärmt; denn ich habe oft gehört, daß die Mädchen in ihrer ersten Leidenschaft viel zärtlicher und glühender lieben als die Männer. Mein Herz sagt mir, daß jenes unglückliche Fräulein um Euch verschmachten und ein trauriges, qualvolles Leben führen muß.«
»Das weiß ich nicht«, entgegnete Lattanzio, »wohl aber, daß sie mich zärtlich liebte und daß sie sehr schön ist; Catella würde dir fast häßlich neben ihr vorkommen. Auch muß ich dir gestehen, was mir oft eingefallen ist: wenn du Frauenkleider anhättest, so würde ich schwören, du seist Nicuola, so sehr scheinst du ihr in allem zu gleichen. Auch Euer Alter kann nicht sehr verschieden sein. Nur kam sie mir ein wenig größer vor als du. Doch kommen wir auf diese Spitzbübin von Catella zurück, die ich mir nicht aus dem Kopf schlagen kann: denn Tag und Nacht muß ich immer an sie denken und kann meinen Sinn auf nichts anderes richten. Sprich, getraust du dich, noch einmal mit ihr zu sprechen und ihr meine ganze Liebe zu eröffnen?«
»Ich will alles tun«, versetzte Romulo, »was in meinen Kräften steht; und sollte es mein Leben kosten, so muß ich mit ihr sprechen.«
Jetzt aber wollen wir diese ein wenig ihrem Treiben überlassen und uns nach Ambrogios Sohne Paolo umsehen, ohne den diese Geschichte nicht zu Ende geführt werden kann. Es geschah um dieselbe Zeit, daß jener Deutsche, Paolos Herr, Neapel verließ und sich nach Acquapendente begab, um von dort nach der Lombardei und dann nach Deutschland zu reisen. Im Begriff, Acquapendente zu verlassen, ward er von heftigem Bauchgrimmen ergriffen, das ihn nach drei Tagen tötete. Doch vor seinem Tode erklärte er, da er sein Ende herannahen fühlte, seinen letzten Willen und ernannte Paolo zum Erben seines ganzen Vermögens. Paolo ließ ihn ehrenvoll zur Erde bestatten, befriedigte den Wirt und wandte sich rechts nach Esi, wo er kurz vor der Verheerung Roms etwa einen Monat lang in Aufträgen des Vaters zugebracht hatte. Hier angelangt, begab er sich, ich weiß nicht weshalb, nicht sogleich nach seinem elterlichen Hause, sondern kehrte mit seinem Gepäcke in einem Gasthause ein. Hier ließ er seine Sachen abladen, übergab sie der Obhut des Wirtes, nahm dann einige Erfrischungen zu sich und ließ seine Leute in der Herberge zurück, um ganz allein durch die Stadt zu gehen. Er war eines Gelübdes wegen ganz in Weiß gekleidet, so daß seine Tracht der des Romulo vollkommen glich. Paolo begab sich nach dem Hause seines Vaters, um zu sehen, ob es offen sei. Der Weg führte ihn an Catellas Hause vorüber, die eben im Fenster lag. Da er sie nicht kannte, grüßte er sie nicht, worüber das Fräulein sich sehr verwunderte. Sie wußte nämlich nicht anders, als daß es Romulo sei, und schickte ihm das Mädchen nach, um ihn zurückzurufen. Es war um die None, und nur wenig Leute zeigten sich auf der Straße. Das Mädchen rief ihn beim Namen Romulo und sprach: »Kommt doch gleich zurück! Mein Fräulein ruft Euch!«
Paolo merkte wohl, daß er für einen andern gehalten wurde, in welchem Glauben er sich noch bestärkte, als er
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