Italienische Novellen, Band 2
verrammelt, weshalb er nicht wagte, näherzutreten, und noch weniger, nach dem Wege sich zu erkundigen, denn er fürchtete, es möchten Räuber darin sein. Er kehrte daher zu dem Herrn zurück, meldete ihm, was er gesehen hatte und was er für eine Besorgnis habe, und schwieg. Der Ritter war ein tapferer und mutvoller Mann, der überdies eine zahlreiche Begleitung bei sich hatte, und ritt daher mit seinen Begleitern auf die Höhle zu. Auf seinen Ruf, wer darin sei, sah er den Eingang öffnen und Don Diegos Diener hervorkommen, der gegen früher so entstellt war, daß er einem Wilden glich. Herr Roderico fragte ihn, wer er sei, und wie er wieder auf den rechten Weg komme, um seine Reise fortzusetzen.
»Wir sind«, antwortete der Diener, »zwei arme Gesellen, die ihr widerwärtiges Geschick hierher verschlagen hat, wo wir unsere Sünden büßen. Was für ein Land dies ist und wo Ihr einen Weg finden mögt, bin ich nicht imstande, Euch zu sagen.«
Herr Roderico bekam Lust, sich die Höhle anzusehen, stieg mit einigen seiner Begleiter ab und trat hinein. Er sah dort Don Diego auf und ab schreiten, erkannte ihn aber nicht und tat an ihn dieselbe Frage, die er zuvor an seinen Diener gerichtet hatte. Derweil er nun selbst mit dem unerkannten Don Diego sprach, hatten die, die mit ihm abgestiegen waren, in der Grotte hin und her geforscht und alles neugierig betrachtet. Sie fanden dort in einem Winkel zwei Sättel, von denen der eine reich verziert und besonders schön gearbeitet war, und einer von ihnen sprach scherzend zu Don Diegos Diener: »Vater Einsiedler, ich bemerke hier weder Pferd noch Maultier noch Esel. Es wird also besser sein, Ihr verkauft mir diese Sättel.«
»Wenn sie euch gefallen, ihr Herren«, antwortete der Einsiedler, »so nehmt sie immerhin mit euch! Ihr braucht mir nichts dafür zu bezahlen.«
Herr Roderico, der in seinem Gespräche mit Don Diego nichts weiter aus ihm herausbringen konnte, sagte nun zu den Seinigen: »Wohlan denn, wir wollen gehen und diese Einsiedler ihrem Schicksal überlassen. Vielleicht finden wir anderwärts jemand, der uns den Weg zeigt.«
Hierauf sprach einer der Seinigen zu ihm: »Herr, hier stehen zwei Sättel, deren einer reich ausgeschmückt ist und offenbar einem kostbaren Pferde angehört hat.«
Roderico ließ die Sättel vor sich bringen, und indem er den einen beschaute, traf sein Blick auf ein Sinnbild, das gar meisterlich auf den Sattelbogen gemalt war und diesen Spruch zur Inschrift hatte: Quebrantare lafe es cosa muy fea , das heißt: die Treue brechen ist ein schändlich Ding.
Sobald Roderico Sinnbild und Wahlspruch sah, erkannte er, daß dieser Sattel Don Diego gehörte; er dachte daher auch, einer der zwei Waldbrüder müsse er sein. Er maß daher einen wie den andern mit scharfem Blick, und dennoch fand er nicht die mindeste Ähnlichkeit aus, so sehr hatte das wilde Waldleben und das unablässige Weinen seine früheren Gesichtszüge entstellt. Er fragte die Einsiedler, wie sie zu den Sätteln gekommen seien. Don Diego, der den Ritter, seinen Freund, gleich zu Anfang erkannte und sehr fürchtete, von ihm erkannt zu werden, veränderte sich bei dieser Frage im ganzen Gesicht und sagte, sie hätten sie in dieser Höhle gefunden. Herr Roderico nahm die Bewegung in den Gesichtszügen des Einsiedlers wahr, betrachtete ihn noch genauer und entdeckte nun ein Muttermal, das mit sechs oder sieben goldgelben Härchen bewachsen an seinem Halse sich zeigte. Dadurch gewann er die feste Überzeugung, daß es Don Diego sei, fiel ihm um den Hals, umarmte ihn aufs zärtlichste und rief aus: »Fürwahr, Ihr seid der Herr Don Diego!«
Der andere Waldbruder, der den Herrn Roderico seinerseits wohl erkannt hatte, konnte, als er ihn weinen und seinen Herrn so liebevoll umarmen sah, der Rührung sich nicht erwehren und fing an laut zu schluchzen und zu weinen. Ebenso war Don Diego, der sich in den Armen eines seiner liebsten Freunde auf Erden fühlte, nicht imstande, zu verhindern, daß sich seine Augen wider Willen mit dem Taue seiner Tränen füllten. Er antwortete zwar immer noch nichts; aber Roderico ließ immer nicht ab, zu sagen: »Ihr seid es doch, Ihr seid mein Herr Don Diego!«
Da ließ er eine heiße Tränenflut über sein Antlitz strömen und gab also sein natürliches Gefühl kund, das er mit Worten nicht ausdrücken konnte noch wollte. Herr Roderico erwiderte ihm daher auch: »Ihr könnt Euch mir nicht länger verbergen, mein Herr! Ich kenne Euch und weiß, daß
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