Italienische Novellen, Band 3
festnehmen, brachte ihn zum Geständnis, daß er die Jungfrau genotzüchtigt habe, und verurteilte ihn nach dem Gesetz jener Stadt, welches dahin lautet, daß einem Schuldigen dieser Art der Kopf abzuschlagen sei, selbst wenn er geneigt wäre, die Entehrte zu heiraten.
Der Jüngling hatte eine Schwester, eine Jungfrau von nicht über achtzehn Jahren, die mit einer ungemeinen Schönheit ausgestattet war und in ihrer Rede wie in ihrem ganzen Auftreten einen süßen Liebreiz kundgab, den ihre jungfräuliche Reinheit noch erhöhte. Epitia, so war ihr Name, wurde von dem bittersten Schmerze durchdrungen, als sie das Todesurteil ihres Bruders vernahm, und beschloß, sie wolle sehen, ob sie, wo nicht den Bruder befreien, so doch seine Strafe mildern könne. Sie hatte zugleich mit ihrem Bruder den Unterricht eines alten Mannes genossen, den ihr Vater ins Haus genommen hatte, um sie beide in der Philosophie zu unterweisen, von der freilich ihr Bruder keinen guten Gebrauch gemacht hatte. Sie ging also zu Juriste und bat ihn, Erbarmen mit ihrem Bruder zu haben, wegen seines zarten Alters (denn er war noch nicht über sechzehn Jahre alt), das ihn entschuldbar mache, wegen seiner geringen Erfahrung und wegen des heftigen Triebes, womit die Liebe ihn aufgestachelt. Sie setzte ihm auseinander, wie es die Ansicht der größten Weisen sei, daß der Ehebruch, der aus Drang der Leidenschaft begangen werde und nicht darum, um den Gatten der Frau zu beschimpfen, geringere Strafe verdiene, als wenn man ihn aus beleidigender Absicht verübe; dasselbe gelte von dem Falle ihres Bruders, der nicht um zu beschimpfen, sondern von glühender Liebe gedrängt das getan habe, um deswillen er verurteilt worden sei; überdies wolle er ja sein Vergehen im wesentlichen dadurch wiedergutmachen, daß er das Mädchen zu heiraten geneigt sei; wenn auch das Gesetz vorschreibe, daß dies Jungfernschändern nichts helfen solle, so könne ja er als ein kluger Mann diese Strenge mildern, die eher ein Unrecht als Gerechtigkeit in sich schließe; denn er sei ja vermöge der vom Kaiser ihm übertragenen Gewalt das lebendige Gesetz, und sie sei der Ansicht, daß Seine Majestät ihm solche Gewalt dazu verliehen habe, daß er sich bei aller Unparteilichkeit lieber gnädig als hart erweise; und wenn je in einem Falle Milde anwendbar sei, so sei dies bei Vergehen der Liebe, vorzüglich dann, wenn die Ehre der Geschwächten gerettet werde, wie dies hier bei ihrem Bruder der Fall sei, der vollkommen bereit sei, sie zur Frau zu nehmen; sie glaube, jenes Gesetz sei mehr der Abschreckung wegen gegeben, als um es in Vollzug zu setzen: denn es dünke sie grausam, ein Vergehen mit dem Tode zu strafen, das zur Genugtuung des gekränkten Teils auf ehrenvolle und gottgefällige Weise wiedergutgemacht werden könne.
Mit diesen und vielen andern Gründen suchte sie den Juriste zu überreden, daß er dem Verbrecher verzeihe. Juriste, dessen Ohr die süße Stimme und Rede der Epitia ebensosehr ergötzte, als ihre seltene Schönheit seinen Augen wohlgefiel, konnte sich nicht satt an ihr hören und sehen und veranlaßte sie, ihm ihre Gegenvorstellungen noch einmal zu wiederholen. Die Jungfrau, die dies als ein gutes Zeichen ansah, sagte dasselbe noch einmal und noch viel eindringlicher als zuvor. Die Anmut, womit Epitia sprach, und der Zauber ihrer Schönheit entwaffnete ihn völlig. Von heftigem Sinnenreiz ergriffen kam er auf den Gedanken, sich desselben Verbrechens an ihr schuldig zu machen, um dessenwillen er Vico zum Tode verurteilt hatte.
»Epitia«, sprach er zu ihr, »deine Bitten haben es deinem Bruder ausgewirkt, daß die Vollziehung des Urteils, nach dem er schon morgen den Kopf verlieren sollte, so lange verschoben bleiben soll, bis ich die Gründe erwogen habe, die du mir vorgetragen hast. Wenn ich sie so beschaffen finde, daß ich dir deinen Bruder freigeben kann, so gebe ich dir ihn um so lieber zurück, als es mich schmerzen würde, ihn zum Tode führen zu sehen um der Strenge des Gesetzes willen, das eine solche Härte bestimmt.«
Diese Worte gaben Epitia frohe Hoffnung; sie dankte ihm vielmals, daß er sich ihr so gnädig erwiesen habe, und beteuerte, ihm ewig dafür verpflichtet bleiben zu wollen; denn sie erwartete, er werde sich in Befreiung ihres Bruders ebenso gefällig finden lassen, als er sich in Vertagung des Endziels seines Lebens gefällig erwiesen hatte. Sie fügte hinzu, sie hege das festeste Vertrauen, das, was sie gesprochen, werde ihn bei näherer
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