Italienische Novellen, Band 3
junge Mann des Landes und mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein. Seine Rede floß in solcher Anmut, daß die Frau es sich gefallen ließ, ihn anzuhören, und ihn, ohne ihm zu antworten, von Kopf bis zu Fuß betrachtete. Der Soldat faßte sich daher ein Herz; er merkte, daß es vor allem not tue, ihre verlorenen Kräfte zu heben, holte daher sein Nachtessen, das nicht weit von dort unter seinem Zelte bereitstand, brachte es in die Gruft und trieb sie mit der Magd ernstlich an, etwas Speise zu sich zu nehmen. Die Frau war zwar um keinen Preis zu bewegen, es zu tun; die Dienerin aber, die keinen Gatten zu beweinen hatte, ließ sich nach so langer Enthaltsamkeit von dem köstlichen Gerüche des Weines locken und kostete davon. Hiernach bemühte sie sich von neuem, ihre Gebieterin zu ermuntern, bis auch sie einen Schluck nahm und bald noch einen. Darauf fühlte sie sich weit besser; auf die Einladungen des Soldaten wurde sie noch fügsamer, sie entschloß sich, etwas Speise zu sich zu nehmen, ja, in kurzem saß sie neben ihm bei Tische.
Als er sie so von ihrer starren Hartnäckigkeit etwas weichen sah, fing er an, ihr mit vernünftigen Gründen und vielen Beispielen zu zeigen, daß sie jeder Pflicht der Liebe und Anhänglichkeit auf das vollständigste genügt habe; alles, was sie weiter tun wollte, sei nicht nur eitel, sondern würde auch ihrer Ehre höchlich nachteilig sein, da es mehr der weibischen Schwäche als einer vernünftigen Liebe zugeschrieben werden müßte; größeren Ruhm könne sie sich bei der Welt erwerben, wenn sie, statt sich wie andere Weiber in Tränen und Klagen zu verzehren, mutig ihren Verlust ertrage und dadurch ihre Seelengröße beweise.
Während der Soldat auf diese Weise sprach, gab ihm die Frau keine Antwort, sondern ihre Aufmerksamkeit war ganz auf ihre Mahlzeit gerichtet. Nach und nach kehrte ihre verlorene Gesichtsfarbe wieder, in den Augen und andern Teilen des Gesichtes erneuerte sich die verschwundene Lebhaftigkeit, und in gleichem Maße wuchs bei dem Soldaten die Lust, ihr schönzutun, und entzündete sich die Liebesbegierde. Als nun das Essen vorüber war, hatte der Soldat durch diese und jene Reden die Erinnerung an den Verstorbenen gänzlich beiseitegeschoben, denn bei Tisch wollte man dessen nicht gedenken, und hatte angefangen, ihre Schönheit zu rühmen. Sie hörte ihm erst mit Widerwillen, dann mit Schweigen und endlich mit Vergnügen zu, und da er sie sehr geschickt zu locken verstand, schritt er endlich bis zu dem vor, was kein anderer an solcher Stelle, mit einer solchen Frau und bei solcher Gelegenheit gewagt hätte, nämlich sie um ihre Liebe anzugehen. Doch kostete es ihn vielleicht mehr Überwindung, die Bitte vorzubringen, als sie, dieselbe zu gewähren.
Die gute Witwe, die sich so schwer entschlossen hatte, am Leben zu bleiben, war nun sehr leicht dazu zu bewegen, die Gattin des Kriegsmannes zu werden. Die Hochzeit wurde in derselben Nacht noch gefeiert; es war dazu keine andere Festlichkeit erforderlich als die beiderseitige Einwilligung, und in der Gruft des Gatten gab sie sich seinem Nachfolger preis. Ja, nicht allein diese Nacht, sondern noch viele andere nachher dauerte ihr vertraulicher Verkehr daselbst in aller Stille fort.
Während die Sache so ihren Gang ging, merkten die Verwandten eines der in der Nähe Hingerichteten, daß die Wache in ihrer Sorgfalt nachließ; sie erwarteten daher den passenden Augenblick, machten eines Nachts den Leichnam los und beerdigten ihn. Sobald dies der Soldat am andern Morgen gewahr wurde, hielt er sich für verloren; denn er wußte, daß der Beamte ihn zur Strafe für seine Nachlässigkeit zum Tode verurteilen würde. Er kehrte daher in die Gruft zurück und erzählte das Vorgefallene seiner neuen Gemahlin mit dem Beifügen, er werde fürwahr diese Schmach nicht über sich ergehen lassen, sondern ihr mit freiwilligem Tode zuvorkommen. Als sie dies hörte, sagte sie zu ihm: »Das verhüte Gott, daß ich in so kurzer Zeit zweimal Witwe werde und zwei so teure Gatten auf einmal beweine! Da es einmal so weit gekommen, ist es besser, einen Toten aufzuhängen, als einen Lebenden zu verlieren.« Nach diesen Worten zog sie selbst mit Hilfe des Soldaten und des Dienstmädchens den Leichnam des Gatten aus dem Sarge. Er war durch die Länge der Zeit schon so entstellt, daß er nicht mehr zu erkennen war. Sie hüllten ihn in Lumpen, legten ihm einen Strick um den Hals und hängten ihn an den leeren Galgen, wo sie ihn ließen.
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