Italienische Novellen, Band 3
nicht in wenigen Tagen starb. Wie sehr sie darüber betrübt war, bedarf keiner Auseinandersetzung; und sie hätte in der Tat nicht vermocht, diesen Verlust auch nur einen Tag zu überleben, wenn sie sich nicht durch einen eigentümlichen Vorsatz aufrecht erhalten hätte, der ihr in den Sinn kam. Sie beschloß nämlich, nicht dem Tode auszuweichen, sondern ihn vielmehr auf eine Weise aufzusuchen, daß sie dadurch für alle Zeiten ein großes und ehrenvolles Denkmal ihrer Treue stifte. Es war in jenem Lande, wie noch in sonst vielen andern, gebräuchlich, daß die Leichname vornehmer Personen nicht mit Erde bedeckt, sondern in einen Sarg von wohlriechendem Holze gelegt wurden, und dieser wurde in ein unterirdisches Gewölbe gestellt, das zu diesem Gebrauche eigens erbaut war und in das man von oben auf einer kleinen Treppe herniedergelangte. Den Schlüssel dazu verwahrten nur nahe Anverwandte des Gestorbenen. Auf diese Weise also wurde der hingeschiedene Gatte der besagten Frau an einer von der Stadt nicht weit entfernten Stelle beigesetzt; sie hatte den Schlüssel der Gruft, und in der folgenden Nacht, um die Stunde, wo sie glaubte, von niemand bemerkt zu werden, begab sie sich ganz stille dahin, trat ein und schloß die Tür mit dem Vorsatz, nie mehr von hier zu scheiden und an dieser Stelle ihre Tage zu beschließen, deren Zahl, ebensowohl weil es ihr an Speise zur Erhaltung der Lebenskraft mangelte, als wegen ihres herben Schmerzes, nur klein gemessen sein konnte.
Wiewohl es in ihrer Absicht lag, sich nicht sehen zu lassen, vermochte sie doch nicht zu verhindern, daß ein ehrliches Weib, das in ihren Diensten stand, es bemerkte. Diese teilte es denn sogleich ihren Verwandten mit, und so war die Nachricht in kurzem in der ganzen Stadt verbreitet. Die Verwandten der Frau verfügten sich zu ihr und gaben sich viele Mühe, sie von einem solchen Vorsatze abzubringen. Aber alles war umsonst. Nicht besser ging es ihren edeln Freundinnen, die gleichfalls sich vergeblich bei ihr abmühten. Zuletzt wandten auch obrigkeitliche Personen von Ephesus ihr amtliches Ansehen an, um sie umzustimmen, – aber es half nichts. Als die gute Frau, die ihren Plan entdeckt hatte, dies sah, blieb ihr freilich keine große Hoffnung, noch ihre Starrheit zu besiegen; doch wollte sie sie nicht ganz verlassen, sondern verschloß sich mit ihr in der Gruft und brachte ein kleines Licht mit, das sie, sobald es auf die Neige ging, von Zeit zu Zeit durch ein neues ersetzte. Schon war der dritte Tag vorüber, seit sie dort lebte, da begab es sich, daß der Statthalter einige Missetäter hinrichten ließ, und diese wurden nach damaliger Sitte an der Richtstätte ausgestellt, und zur Wache standen die Soldaten daneben, damit nicht Freunde oder Verwandte die Leichname wegtragen. Die Stelle, wo sie die letzte Pein erduldeten, war nicht weit entfernt von dem Grabe, in das die Frau sich mit ihrem toten Gemahl eingeschlossen hatte. Als es nun spät in der Nacht und sehr dunkel war, da begab es sich, daß der Soldat, der Wache stand, durch ein ganz kleines Loch in der Tür der Gruft ein Licht durchschimmern sah. Er ging auf dasselbe zu und bemerkte, daß es aus einem Grabe kam. Er wollte erfahren, was es sei, und stieg leise auf der unterirdischen Treppe hinab, lehnte das Ohr an die Tür und hörte nun deutlich das Jammern des Weibes. Daraus schloß er, es sei dies der Ort, wo die berühmte Frau sich lebendig begraben wolle. Sowohl das Mitleid als die Neugier, sie zu sehen, bewog ihn, stark an die Tür zu pochen, und das Pochen schreckte die traurigen, jammernden Weiber aus ihren Klagen auf. Die Magd öffnete ihm, und er trat in das Gemach. Die Frau war teils aus Betrübnis, teils durch den erduldeten Hunger ganz von Kräften gekommen, die Haare jämmerlich zerrauft, das Gesicht mit ihren eigenen Händen grausam zerrissen; aber sie war doch nicht in dem Maße zerfallen, daß ihre ursprungliche Schönheit gänzlich verschwunden wäre. Als der Soldat vor sie trat, erkannte er sogleich ihre große Schönheit und daß sie fürwahr einen so jämmerlichen Zustand nicht verdiene. Er rief daher sogleich ganz keck aus: »Ei, wie schade!«
Dies sagen, ihr einen heitern und freien Blick zuwerfen und sich ihr zur Seite setzen war eins. Als die Frau so unvermutet einen solchen Mann vor sich sah, geriet sie in Erstaunen, und da sie nicht wußte, wer es sei, noch zu welchem Zwecke er gekommen, betrachtete sie ihn aufmerksam. Der Soldat war der schönste und reizendste
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