Italienische Novellen, Band 3
ein Gastwirt, der Niccolà heißen mag. Er besaß dicht an der Dechanei, wo die Straße am besuchtesten ist, ein Haus, in dem er den Landleuten zu essen und zu trinken gab und Reisende, die in ihren Geschäften durch die Gegend kamen, beherbergte. Niccolà war überaus geizig und so begierig nach Geld, daß er, um eines kleinen Gewinnstes willen, wohl die verruchteste Handlung beging. Er betrog deshalb die Einkehrenden entweder mit Maß und Gewicht oder nahm ihnen unbillig viel für ihre Zehrung ab.
Das Schicksal hatte ihm eine Ehegefährtin von gleichen Gesinnungen und Gewohnheiten zuerteilt, die nicht nur die Betrügereien ihres Mannes billigte, sondern ihn gar oft zu neuen ermunterte. Wo sie irgend Mittel und Wege zu einer ihm entgangenen Schurkerei offen sah, trieb sie ihn entschlossen dazu an, indem sie zu sagen pflegte: »Wer hat, will mehr haben; wer aber nichts hat, der suche sich etwas.« Bei alledem bereicherten sie sich nicht und behalfen sich im Gegenteil immer kümmerlicher, wie denn die göttliche Gerechtigkeit keinem Menschen auf der Welt unrechtes Gut gedeihen läßt.
Diese Leute hatten einen einzigen, Vico getauften Sohn, den sie sehr spärlich und streng ernährten und behandelten, obgleich er ihnen stets alle Liebe und allen kindlichen Gehorsam zu erkennen gab. Sie hielten ihn zwar auch ihrerseits teuer und wert, nur nicht gerade als ihren einzigen Sohn, vielmehr weil seine Aufmerksamkeit und Anstelligkeit ihnen einen Knecht ersparen half.
Geschah es nun, daß Vico der harten Zucht seiner Eltern am Ende müde ward oder daß jugendliche Lüsternheit ihn verleitete, kurz, er hatte ziemlich sein fünfzehntes Jahr erreicht, als er eines Nachts plötzlich seine Lumpen zusammenraffte und, mit einigen an Trinkgeldern ersparten Paoli in der Tasche, heimlich aus dem Hause floh, um sein Glück in der Welt zu versuchen. Wie der Knabe, der seiner häuslichen Verrichtungen wegen immer zuerst aufstand, am anderen Morgen nicht gleich zum Vorschein kam, sprang der Vater zornig der leeren Kammer zu, um ihn auszuschelten, und rief die Frau: »Du wirst mir den Jungen ganz und gar verderben, Ceca!« zankte er auf sie los. »Wo ist Vico? Ich sehe ihn wieder einmal nicht. Du schickst ihn zwecklos immer hin und her, und was zu tun ist, bleibt liegen. Sieh selber zu: die Küche nicht gekehrt, die Betten nicht gemacht, kein Feuer auf dem Herde, alles bunt übereck! Wir behalten das liebe tägliche Brot nicht, treibt Ihr es länger so!«
»Gottes Kreuz!« erwiderte Frau Ceca etwas aufgebracht, »du bist nicht bei Verstande, Mann! Was fällt dir heute morgen ein? Ich soll den Jungen verderben? Hätte er immer acht auf das, was ich ihm sage und stündlich vorpredige, so stünde es gut mit ihm. Ich sage dir, er steckt voller Tücken und Schelmerei und nimmt noch ein schlechtes Ende, wenn ihm Gott nicht hilft. Ich habe ihn weder gesehen noch weggeschickt, und ich schwieg nur, weil ich meinte, du hättest es selber getan. Der Herr mag wissen, wo er ist. Er liegt doch nicht etwa noch im Bette?«
»Im Bett ist er nicht«, brummte Niccola.
Derweil sie so schwatzten, suchten sie den Knaben in Haus und Hof und jedem Winkel eine Weile lang, riefen ihn vergebens laut und wiederholt und bildeten sich endlich ein, er möge in die Messe gegangen sein. Wie deshalb Niccolà der Dechanei zuwanderte, begegnete er unterwegs dem aus der Kirche kommenden Dechanten, der den Vico aus der Taufe gehoben hatte und bei dessen Firmung Zeuge gewesen war. »Willst du in die Messe gehen, Gevatter, so kehre nur wieder um,« sprach der Dechant. »Da heute Markt ist, wie du weißt, hielt ich den Morgengottesdienst gleich miteinander ab und schloß die Kirche, weil ich auch meine Geschäfte habe. Ich muß zusehen, ob ich mein wenig Wicken, Getreide und Gemüse verkaufen und etwa mein Saumroß vorteilhaft vertauschen kann, das gar nicht mehr auf die Beine zu bringen ist. Die Messe bleibt heute einmal weg, und es reicht hin, wenn du dein Dies illa oder nach Gefallen deinen Rosenkranz abbetest.«
»Ach, Gevatter Puccio, ich habe andere Dinge als Messe und Gebet im Kopf. Ich suche meinen Vico, den ich nirgend finden kann. Ich ging eben nach der Kirche, um zuzusehen, ob er in der Messe sei.«
»Ich sage dir«, antwortete Don Puccio, »ich habe die Kirche mit meinen eignen Händen geschlossen, und es blieb niemand darin. Mein Pate ist ja übrigens kein Kind mehr und weiß, wohin er geht und was er tut, wird also nicht zu Schaden gekommen sein. Ich will dir
Weitere Kostenlose Bücher