Italienische Novellen, Band 3
sagen, wie es sich verhält: Du weißt, er ist neugierig und beherzt. Die Stricke schrecken solche Jungen nicht, wenn einmal die Lust sie anwandelt. Ich wollte wetten, er treibt sich auf dem Markte herum. Laß mich nur schaffen, ich schicke ihn dir wohl oder übel nach Hause und mache ihm die Hölle vorher auf meine Weise heiß. Geh an deine Geschäfte, und gib dich indes zufrieden!«
»Wollte Gott«, meinte Niccolà, »daß es so ist,wie du sagst!« Er empfahl sich seinem Gevatter und ging nach Hause, wo er die Ankunft seines Sohnes erwartete.
Es ward Mittag, die Vesper, auch das Avemaria war vorbei. Und wie der Dechant kam und berichtete, er habe auf dem ganzen Markte herumgesucht und geschaut, aber von Vico keine Spur entdeckt, konnte Niccolà nicht wohl anders glauben, als daß der Knabe ihm entlaufen sei. Schwermütig und betrübt blieb er, in der Hoffnung, Vico kehre dennoch wieder, einige Stunden länger als gewöhnlich wach und legte sich erst spät zu seiner Frau ins Bette, die so wenig wie er die Nacht über ein Auge schloß. Folgenden Tages fragte Don Puccio beizeiten im Gasthause wegen seines Paten zu und erschrak nicht wenig, wie er hörte, er werde noch immer vermißt. Der gute, derbe Mann vertröstete die Eltern nach seinem besten Wissen mit vielen schönen Beispielen aus dem Legendenbuche zur Geduld, führte ihnen aus der Geschichte auch andre fromme, von Gott geprüfte und in Leiden starke, beständige Seelen an, die sich das ewige Heil verdient hätten, und brachte seine Worte und Tröstungen zwar tölpisch genug vor, erleichterte aber doch seines Gevatters Kummer insoweit, als derselbe sich gut genug faßte und in den göttlichen Willen ergab, mehr als jemals vorher, uneingedenk des verlornen Sohnes, sich seines Vorteils befleißigend.
Vico trieb sich lange Zeit weit und breit als Landstreicher umher, führte, auf Kosten der Einfältigen, das vergnügteste Leben von der Welt und gelangte zuletzt bis Neapel, wo er sich einfallen ließ, nachdem er also als eigener Herr gelebt habe, auch einmal anderer Willen zu befolgen und in irgendein Haus als Diener zu gehen.
Das Glück wollte ihm wohl. Von gutem Aussehen, munter und lebhaft, wie er war, erregte er die Aufmerksamkeit eines vornehmen Herrn, der ihn zu sich nahm und allmählich, seines Fleißes und ordentlichen Betragens halb, so liebgewann, daß er ihm die Aufsicht über sein ganzes Hauswesen anvertraute und ihm, außer einem ansehnlichen Lohne, Kleider und häufige Geschenke gab, wovon Vico, sparsam und Wucher treibend, sich mit der Zeit ein kleines Kapital sammelte.
Fünfundzwanzig und noch mehr Jahre mochten verflossen sein, seitdem er aus dem Hause seiner Eltern floh. Weil dem Gastwirte und seiner Frau niemals Nachricht von ihrem Sohne zugekommen war, hegten sie auch nicht die geringste Hoffnung, ihn wiederzusehen, und glaubten fest und bestimmt, er müsse durch einen Unfall das Leben eingebüßt haben.
Da ging Vico eines Tages in sich und gedachte der Heimat und der Seinigen ernster und herzlicher, wobei er das folgende Selbstgespräch hielt: »Wie wunderbar nicht die Wege des Schicksals sind! Ich laufe vordem, fünf oder sechs Paoli in der Tasche, ein paar Lumpen auf dem Leibe, von Hause weg und nenne jetzt so viel Geld, so viele Kleider und Habe, mehr als ich brauche, mein, derweil mein Vater und meine Mütter gewiß noch immer, wie vordem, Hunger und Kummer leiden. Der Himmel mag wissen, wieviel Tränen und Sorgen ihnen meine Flucht verursacht hat! Was habe ich nun aber sonst zu tun, als zurückzukehren, sie zu trösten und ihrer Not abzuhelfen, so gut ich kann? Wem als ihnen verdanke ich denn mein Leben und meinen jetzigen Wohlstand? Vielleicht gab ihn mir der Himmel nur, damit ich die Pflichten eines Sohnes erfülle.«
Ohne weiteres Bedenken verlangte er also mit guter Art den Abschied von seinem Herrn, der ihm diesen, im Hinblick auf seine gute und gerechte Absicht, wiewohl ungern, bewilligte, zog allerwärts sein Besitztum zusammen, das er in Gold und Wechsel verwandelte, stieg zu Pferde und ritt geradesweges seiner Heimat zu.
In Maderno angelangt, erkundigte er sich auf der Stelle, ob Niccolà, der Gastwirt bei der Dechanei, und Ceca, sein Weib, noch lebten? Es fiel ihm wie ein Stein vom Herzen, als ihm die Dorfleute mit Ja antworteten, und er dankte dem Himmel, das Dasein seiner Eltern so lange gefristet zu haben, daß er sie vor ihrem Tode noch sähe und tröstete. Mit sich uneinig, was er nun vor allen Dingen tun solle,
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