Italienische Novellen, Band 3
Künstlers ging.
Das zweite Bild hatte indessen kein besseres und vielleicht sogar ein noch schlechteres Schicksal als das erstere: denn abgesehen davon, daß die Kenner viele Mängel des ersten auch in dem zweiten wieder antrafen und in diesem sogar die geringe oberflächliche Ähnlichkeit vermissen wollten, die, wie sie sagten, jenem doch im allgemeinen angehaucht gewesen sei, so fingen sie nunmehr an, mit einem gewissen Bedauern Betrachtungen darüber anzustellen, wie so etwas eben leider nicht erstrebt werden könne, wenn es sich nicht von selber mache, und wie alle dergleichen Verbesserungen der unmittelbaren ersten Auffassung, wenn sie einmal eine verfehlte sei, zu nichts als Verschlechterungen derselben ausarteten, weil die gestörte oder erkaltete Phantasie und Begeisterung des Künstlers kein Wiederaufwärmen vertrüge. Überdies nahmen sie die Gelegenheit wahr, so viel nichtiges, auf bloßen Gemeinsprüchen und erlernten Redensarten beruhendes Kunstgewäsch, das auch dem einfältigsten Menschen zu Gebote stehen kann, wenn er es sich erlaubt, von dem Hundertsten aufs Tausendste ohne Zusammenhang überzuspringen, an diese ihre Aussprüche anzuknüpfen, daß das Resultat dieser gelehrten Zusammenkunft kein anderes als die vollkommenste Verzweiflung des armen Edelmanns war, auf diese Weise nimmermehr ein Bildnis erlangen zu können, das ihm wirklich ähnlich sehe.
Der Maler war zwar lauter Gift und Galle in seinem Innern und sprühte Zornflammen aus seinen Augen; nichtsdestoweniger benahm er sich aber nicht wie diejenigen, die eine Wette durch Zank und Streit zu gewinnen meinen, sondern drängte seine Entrüstung in sich zurück und zuckte nur ein wenig mit den Achseln, indem er bereits die Art und Weise bei sich überlegte, wie er die jungen Ignoranten am ehesten zum Selbsteingeständnisse ihrer an den Tag gelegten Unwissenheit bringen und sie beschämen könne, über einen ihnen wildfremden Gegenstand, wie den der Kunst, also abgesprochen zu haben. Als die sechs Kenner hierauf fortgegangen waren und ihn mit dem betretenen Kavaliere allein zurückgelassen hatten, hub der Maler folgendermaßen zu ihm zu reden an: »Wiewohl ich, mein edler Herr, gar wohl einsehe, daß die beschränkten Kräfte und Fähigkeiten eines Menschen bei weitem nicht ausreichen, ihm in irgendeiner Kunst das an sich Vollkommene und Tadellose gelingen zu lassen, so kann ich doch nicht umhin, wenn ich die Art und Weise meines täglichen Lebens und seiner Mühen und Erfahrungen mit derjenigen der jugendlichen Kunstrichter vergleichend zusammenstelle, die das Werk meines ernsten Fleißes und meiner besten Einsicht so wegwerfend beurteilt haben, mich selbst für einen gültigeren Kenner eines Gemäldes anzusehen, als sie sind. Ich habe von meiner frühesten Jugend an jeden anderen Gedanken, alle Freuden und Güter der Welt, ja mich und mein irdisches Lebensglück selbst aufgegeben, um einzig und allein dieser heiligen Kunst zu leben, der meine ungeteilte Liebe und mein ganzes Dasein gewidmet ist. Ich habe alle menschliche Gemeinschaft und alles, was den Menschen an das Leben bindet, um dieser meiner Pinsel und dieser meiner Palette willen aufgegeben; ich habe Speise und Trank vergessen und mir den süßen Schlaf geraubt, um nur den bescheidenen Ruhm zu verfolgen, den uns die Kunst gewährt. Ihre Freunde dagegen, denen es jetzt gefallen hat, so gestrenge Richter über dieses Werk meiner Kunst zu sein, haben sich niemals auch nur mit dem leisesten Gedanken auf das Studium der Kunst gelegt, haben weder Pinsel noch Palette jemals angerührt, ja haben nicht einmal den mindesten Begriff von Zeichnung und von den Elementen der Malerei, indem sie, aller ernsten Beschäftigung und alles Berufes hienieden ermangelnd, es jederzeit nur ihre alleinige Sorge sein ließen, ihren Vergnügungen nachzurennen und ihr höchstes Gut in der Ertötung ihrer edlen Zeit zu vergeuden, deren Wert sie nicht zu schätzen wissen. Haben sie jemals ihre Nächte schlaflos durchgewacht, wie es mit ihnen allerdings der Fall gewesen sein mag, so geschah dies gewiß aus einem anderen Grunde, als um da menschliche Gestalten und Ähnlichkeiten künstlich nachzubilden. Trotz alledem verlange ich von Ihnen dennoch nicht, daß Sie zwischen diesen Herren und mir einen Unterschied machen in dem, was unseren beiderseitigen Beruf zur Kunstkennerschaft angeht; sondern Sie sollen durch ihren eignen unmittelbaren Augenschein sich überzeugen, daß Ihre Freunde von der Kunst so viel wie
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