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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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ihn
die Frau und bewegt ihre weißen, duftenden Hände dicht vor seinem Gesicht,
»setz dich, für dich hole ich die Sterne vom Himmel, wenn es sein muß; ich
werde für dich etwas zu trinken finden.«
    Und sie ruft den Kellner und
bestellt etwas auf deutsch.
    »Red mir nichts, was ich nicht
verstehe, nicht so ein Kauderwelsch, vierzehn, fuffzehn, denn ich ..., du
kennst mich.«
    »Ich weiß, ich weiß, Ejub; ich kenne
leider nicht viel, was besser, dich aber ....«
    »Hm! Mit wem bist du gewesen,
sprich!«
    Und das Gespräch des betrunkenen
Mannes und der nüchternen Frau geht weiter, ohne Ende und Faden, ohne Sinn und
Ausweg, bei einer Flasche teuren Weines und zwei Gläsern, dem einen, das
Lottika gehört und immer voll ist, und dem anderen, Ejubs, das unaufhörlich
geleert wird und sich wieder füllt.
    Und während der junge adlige
Nichtstuer mit schwerer Zunge von Liebe und Tod, von Liebesschmerz ohne
Linderung und ähnlichen Dingen spinnt und faselt, die Lottika auswendig weiß,
denn jeder hiesige Betrunkene spricht das gleiche, sogar mit den gleichen
Worten, steht sie auf und tritt an die anderen Tische, an denen die übrigen
Gäste sitzen, die sich regelmäßig am Abend im Hotel versammeln.
    An einem Tisch sitzen junge Städter,
die erst anfangen auszugehen und zu trinken, kleinstädtische Snobs, denen
Zarijas Schenke langweilig und zu einfach ist, die sich aber in diesem Hotel
noch unsicher fühlen. An einem anderen sitzen Beamte, Fremde oder ein
vereinzelter Offizier, der für diesen Tag das Offizierskasino verlassen hat und
bis in das Zivilhotel herabgestiegen ist, denn er will Lottika um ein
dringendes Darlehen bitten, an einem dritten Ingenieure, die eine Waldbahn für
den Holztransport bauen.
    Ganz in der Ecke sitzen und rechnen
der Kaufmann Pawle Rankowitsch, einer der jüngeren, aber reicheren Bürger, und
irgendein Österreicher, ein Unternehmer von der Bahn. Pawle trägt türkische
Kleidung mit rotem Fez, den er auch im Lokal nicht abnimmt; er hat kleine
Augen, die wie zwei leuchtend schwarze und schiefe Einschnitte im großen,
bleichen Gesicht stehen, die sich aber in außergewöhnlich seltenen Augenblicken
der Freude und des Triumphes ungewöhnlich weiten und groß, glänzend und
teuflisch lächelnd werden können. Der Unternehmer trägt einen grauen Anzug von
sportlichem Schnitt, mit hohen gelben Schnürstiefeln, die ihm bis an die Knie
reichen. Der Unternehmer schreibt mit einem goldenen Bleistift an silberner Kette
und Kaufmann Pawle mit einem kurzen, dicken Zimmermannsblei, den vor fünf
Jahren einmal ein Zimmermann vom Militär in seinem Laden vergessen hat, als er
bei ihm Nägel und Türbänder kaufte. Sie schließen einen Vertrag über die
Verpflegung der Arbeiter an der Bahn ab. Vollkommen in ihr Geschäft vertieft,
multiplizieren, teilen sie und zählen zusammen; sie reihen Zahlen aneinander,
die einen sichtbar auf dem Papier, mit denen sie einander überzeugen und
täuschen wollen, die anderen aber unsichtbar im Kopfe, mit denen sie
angestrengt und schnell, ein jeder für sich, die versteckten Aussichten und den
Gewinn errechnen.
    Für jeden dieser Gäste findet
Lottika ein passendes Wort, ein reiches Lächeln oder auch nur einen stummen
Blick voller Verständnis. Dann kehrt sie zu dem jungen Beg zurück, der wieder
unruhig und gewalttätig wird.
    Im Laufe der Nacht aber, während der
allgemeinen Trunkenheit, mit allen ihren stürmischen, verliebten, weinerlichen
und groben Phrasen, die sie gut kennt, findet sich wieder eine ruhige Zeit, in
der sie auf ihr Zimmer gehen und beim milchigen Licht einer Porzellanlampe ihre
Ruhepause oder ihre Korrespondenz fortsetzen kann, bis es unten wieder zu einer
Szene kommt oder bis man sie ruft.
    Morgen aber kommt ein neuer Tag mit
einem anderen oder auch demselben betrunkenen und launenhaften, adligen Verschwender,
und für Lottika die gleiche Mühe, der sie sich mit lächelndem Gesicht
unterziehen muß, und die gleiche Arbeit, die immer wie ein leichtes,
ausgelassenes Spiel aussieht.
    Es schien unverständlich und
unerklärlich, wie sich Lottika in dieser Menge und Verschiedenartigkeit der
Arbeiten zurechtfand und aufrechthielt, die ihren Tag und ihre Nacht
ausfüllten und von ihr mehr Verschlagenheit forderten, als eine Frau besitzt, und
mehr Kraft, als ein Mann aufzubringen vermag. Dennoch gelang es ihr, mit allem
fertig zu werden, ohne sich je zu beklagen oder irgend jemandem etwas davon zu
sagen, ohne je bei einer Arbeit von der soeben

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