Ivo Andric
versinke sie in der Erde.
Amtlich wurde das neue Hotel nach
der Brücke benannt, neben der es lag. Aber das Volk benennt alle Dinge nach
seiner eigenen Logik und nach der wirklichen Bedeutung, die die Dinge für es
haben. Über dem Eingang zu Zahlers Hotel verblich sehr schnell die deutsche
Inschrift »Hotel zur Brücke«, die ein Soldat, ein Allerweltskerl von Beruf, in
gotischen Buchstaben und blasser Farbe angebracht hatte. Das Volk nannte es
»Lottikas Hotel« und dieser Name blieb ihm für immer. Denn das Hotel gehörte
zwar dem dicken, phlegmatischen Juden Zahler, der eine kränkliche Frau,
Deborah, und zwei kleine Töchter, Minna und Irene, hatte, aber der wahre Herr
und die Seele des Unternehmens war Zahlers Schwägerin, Lottika, eine junge,
außerordentlich schöne Frau, eine Witwe mit freier Sprache und männlicher Offenheit.
Im Oberstock des Hotels lagen sechs
saubere und ordentliche Gästezimmer und unten zwei Säle, ein großer und ein
kleiner. In den größeren Saal gingen die bescheideneren Leute, die einfachen
Bürger, Unteroffiziere und Handwerker. Der kleine Saal war vom großen durch
Milchglastüren abgetrennt, auf deren einem Flügel »Extra« und auf dem anderen »Zimmer« in deutscher Sprache stand. Das war der Treffpunkt im gesellschaftlichen
Leben der Beamten, Offiziere und der wohlhabenderen Einheimischen. Bei Lottika
trank, spielte, sang, tanzte, führte man ernsthafte Gespräche oder schloß
Geschäfte ab und aß gut und schlief sauber. Oft kam es vor, daß die gleiche
Gesellschaft, diese Begs, Händler und Beamten, die Nacht über sitzen blieb, vom
Dunkelwerden bis zum Hellwerden, und immer noch saßen, bis sie vor Trunk und
Müdigkeit umsanken und ihnen beim Kartenspiel schwarz vor den Augen wurde.
(Jetzt spielte man nicht mehr versteckt und heimlich in jenem finsteren,
dumpfen Zimmerchen in Ustemujitsch Chan.) Lottika aber geleitete jene hinaus,
die zuviel getrunken oder alles verloren, und empfing neue, nüchterne Gäste,
die nach Trunk und Spiel verlangten. Niemand wußte und fragte auch nur, wann
sich diese Frau ausruhte, wann sie schlief oder aß oder wann sie die Zeit fand,
sich anzukleiden und zurechtzumachen. Denn sie war immer anwesend – so wenigstens
schien es –, jedem zur Verfügung, zu allen liebenswürdig und gleich kühn und
betulich. Stattlich, füllig, mit weißer Haut, schwarzem Haar und feurigen
Augen, hatte sie eine vollendet sichere Art, mit den Gästen umzugehen, die
reichlich Geld dortließen, aber oft, vom Alkohol davongetragen, gewalttätig und
zudringlich wurden: Mit ihnen allen sprach sie freundlich, kühn, geistvoll,
scharf, schmeichlerisch oder beruhigend. (Ihre Stimme war heiser und
ungleichmäßig, manchmal aber ging sie in ein zärtliches Girren über. Und sie
sprach falsch, denn sie hatte nie ordentlich Serbisch gelernt, mit ihrer
besonderen, kraftvollen und bildreichen Ausdrucksweise, in der die einzelnen
Fälle nicht am rechten Platz und das Geschlecht der Worte niemals sicher
waren, die aber sonst, sowohl im Ton als auch im Sinne, völlig der
Ausdrucksweise des Volkes entsprach.) Jeder von ihnen erhielt für sein Geld und
seinen Zeitverlust ihre Anwesenheit und das ständige Spiel seiner Sinne. Diese
beiden Dinge waren das einzige Beständige und Sichere. Alles übrige erschien
als wirklich und war doch unwirklich. Für zwei Generationen der Wischegrader
Lebemänner unter Christen und Begs war Lottika eine glänzende, teure und kalte
Fata Morgana, die mit ihren Sinnen spielte. In Erzählungen erwähnte man jene
wenigen, denen sie angeblich etwas gewährte, aber auch sie vermochten weder
zu sagen was, noch wieviel.
Es war weder einfach noch leicht,
mit den reichen und betrunkenen Städtern auszukommen, in denen oft ungeahnte
gewalttätige Neigungen wach wurden. Aber Lottika, die unermüdliche Frau mit
den kalten Sinnen, schnellem Verstand und männlichem Herzen, bändigte jede
Wut, brachte jedes Gelüst sinnlos gewordener Männer mit einem unerklärlichen
Spiel ihres vollkommen schönen Körpers, mit ihrer großen Verschlagenheit und
nicht minder großen Kühnheit zum Schweigen, und es gelang ihr immer und bei
jedem, zwischen ihnen und ihr den nötigen Abstand zu wahren, der die Wünsche
noch mehr entzündete und ihren Wert hob. Sie spielte mit den entfesselten Männern
in ihren gröbsten und gefährlichsten Augenblicken der Trunkenheit und Wut wie
ein Stierkämpfer mit dem Stier, denn sie hatte diese Menschen schnell erkannt
und den Schlüssel zu
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