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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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Minderheit Verdammter und
Vorherbestimmter setzt diesen Weg für immer fort, und, statt des Lebens den
Alkohol, die kürzeste und trügerischste Illusion in diesem kurzen und
trügerischen Leben, wählend, leben sie für ihn und verbrennen an ihm, bis sie
so düster, stumpf und aufgedunsen werden wie jene, die im Schatten in der Ecke
sitzen.
    Seit die neuen Zeiten eines Lebens
ohne Zügel und Rücksicht, mit lebhafterem Handel und besserem Verdienst
gekommen sind, erscheint, neben Sumbo, dem Zigeuner, der schon seit einigen
dreißig Jahren alle Trinkgelage mit seiner großen Flöte begleitet, nun auch
Franz Furlan mit seiner Harmonika oft in der Schenke. Er ist ein magerer und
rothaariger Mann mit einem goldenen Ohrring im rechten Ohr, Zimmermann von
Beruf, aber ein allzu großer Liebhaber von Musik und Wein. Besonders gern
hören ihn die Soldaten und die ausländischen Arbeiter.
    Häufig geschieht es, daß ein Guslar
hereinschneit, gewöhnlich ein Montenegriner, mager wie ein Einsiedler, ärmlich
gekleidet, aber mit aufrechter Haltung und hellem Blick, ausgehungert und
zugleich schüchtern, stolz und doch auf Mildtätigkeit angewiesen. Er sitzt
eine Weile in der Ecke, auffällig zurückgezogen, bestellt nichts, blickt vor
sich hin und stellt sich gleichmütig und als ginge ihn das alles nichts an,
aber man sieht dennoch, daß er andere Absichten und Gedanken hegt, als sein
Aussehen zeigt. Unsichtbar ringen in ihm viele widersprechende und unversöhnliche
Empfindungen, aber besonders steht das Große, das er in der Seele trägt, im
Gegensatz zu Not und Schwäche dessen, was er auszudrücken und vor den anderen
zu zeigen vermag. Daher ist er vor den Leuten immer etwas verwirrt und
unsicher. Stolz und geduldig wartet er, daß irgend jemand ein Lied verlangt,
dann zieht er die Gusla noch immer etwas schüchtern aus dem Beutel, haucht sie
an, sieht nach, ob der Bogen auch nicht feucht geworden ist, stimmt die Saite,
und bei allem wünscht er augenscheinlich möglichst wenig Aufmerksamkeit auf
seine technischen Vorbereitungen zu lenken. Wenn er das erste Mal mit dem
Bogen über die Saite streicht, dann ist das noch ein zitternder Ton, voller
Unebenheit wie ein holperiger Weg. Aber während er so ein paarmal über die
Saite fährt, beginnt er bereits selbst, mit geschlossenem Mund, durch die Nase
leise den Ton der Gusla zu begleiten, ihn mit seiner Stimme zu ergänzen und auszugleichen.
Und wenn so beide Stimmen völlig zu einem klagenden gleichmäßigen Ton
zusammenfließen, der die Grundlage für das Lied webt, dann verwandelt sich
dieser Arme wie durch Zauber: verschwunden ist die quälende Scham; alle inneren
Widersprüche beruhigen sich und erlöschen, alle äußeren Schwierigkeiten sind
vergessen. Der Guslar hebt ruckartig den Kopf wie ein Mann, der die Maske der
Bescheidenheit abwirft, da er nicht mehr zu verbergen braucht, was er ist und
wer er ist, und beginnt mit unerwartet starker Stimme, geradezu jubelnd, die
Einleitungsverse:
    Es klagt das junge Königskraut:
    Leiser Tau, warum meidest du mich?
    Die Gäste, die sich solange ebenfalls
gleichmütig stellten und sich miteinander unterhielten, verstummen plötzlich
alle. Bei diesen ersten Versen durchfährt sie alle, Mohammedaner wie Christen,
das gleiche Zittern eines unbestimmten Sehnens und Dürstens nach dem gleichen
Tau, das im Lied wie in ihnen allen ohne Unterschied lebt. Aber gleich fährt
der Guslar leiser fort:
    Das war nicht das junge
Königskraut...
    und, den Schleier von seinem Gleichnis
lüftend, beginnt er die türkischen oder serbischen wahren Wünsche und Geschicke
aufzuzählen, die sich hinter den Gestalten des Taues und des Königskrautes
verbergen, während sich bei den Zuhörern sofort die Gefühle teilen und auf
entgegengesetzten Wegen auseinandergehen, je nach dem, was ein jeder in sich
trägt, wünscht und glaubt. Nach einer ungeschriebenen Regel hören sie dennoch
das Lied bis zum Ende an und verraten, geduldig und zurückhaltend, durch
nichts ihre Gefühle; sie blicken nur in das Glas vor sich, in dem sie auf der
glänzenden Oberfläche des Raki die gewünschten Siege erblicken und Kämpfe,
Helden, Ruhm und Glanz sehen, wie es sie in der Welt nirgendwo gibt.
    Am lebhaftesten ist es in der
Schenke, wenn sich die jungen Kaufleute und reichen Bürgerssöhne betrinken.
Dann gibt es Arbeit für Sumbo, Franz Furlan, Tschorkan und Schacha, die
Zigeunerin.
    Schacha ist eine schielende
Zigeunerin, ein freches Mannweib, das mit jedem trinkt, der es

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