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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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Steine dagegen werfen, was die Spuren auf ihnen auch
bezeugen, aber das ist schon kein Skandal mehr im Hotel, sondern auf der
Straße, und das ist Sache der Polizei, die sowieso immer vor dem Hotel steht.
Milan passiert es niemals, wie anderen Kaffeehausbesitzern, daß ihm ein Gast,
den er hinauswirft, Tische und Stühle mitzerrt und zerbricht oder sich mit
Händen und Füßen an der Tür festhält, daß ihn kein Paar Ochsen hinausbringen
kann. Niemals trägt Milan in diese Arbeit übertriebenen Eifer oder
Bösartigkeit, Kampflust oder persönliche Abneigung hinein; daher erledigt er
die Angelegenheit auch so vollendet gut und schnell. Eine Minute nach dem
Hinauswurf ist er wieder an seiner Arbeit in der Küche oder am Ausschank, ganz
als sei nichts vorgefallen. Und Gustav geht nur, wie zufällig, durch das
Extrazimmer und zwinkert, indem er Lottika ansieht, die an irgendeinem Tisch
mit feineren Gästen sitzt, kurz einmal mit beiden Augen gleichzeitig zu, das
bedeutet, daß etwas vorgekommen, daß aber die Angelegenheit bereinigt ist.
Dann blinzelt auch Lottika, ohne ihre Unterhaltung zu unterbrechen und ihr
Lächeln abzulegen, ebenfalls blitzschnell und unmerklich mit beiden Augen
zugleich: das heißt: In Ordnung, danke, paßt weiter auf.
    Es bleibt nur noch die Frage, was
der hinausgeworfene Gast verzehrt oder zerbrochen hat; diese Summe schreibt
Lottika Gustav bei der Abrechnung der Tageskasse ab, die spät in der Nacht
hinter einem roten Wandschirm vorgenommen wird.

15
    Auf verschiedene Art kann sich dieser
unruhige und so kunstvoll hinausgeworfene Gast, sofern er nicht vor dem Hotel
sogleich in Haft genommen wird, wieder sammeln und von der Unannehmlichkeit,
die ihm begegnet, wieder erholen. Er kann zur Kapija forttorkeln und sich dort
an der Kühle erfrischen, die der Wind vom Wasser und den umliegenden Bergen
mitbringt. Er kann aber auch in Zarijas Schenke gehen, die nur ein paar
Schritte weiter, am Gemeindemarkt, liegt, und dort frei und ungestört mit den
Zähnen knirschen und der unsichtbaren Hand drohen und fluchen, die ihn so
hinterrücks und unwiderstehlich aus dem Hotel hinauswarf. Hier kann es, wenn
die erste Dämmerung vorüber ist und die Einheimischen und Arbeiter, die nur
ihr tägliches »Gläschen« trinken und sich mit ihresgleichen unterhalten,
auseinandergehen, keinen Skandal geben, denn jeder trinkt, soviel er will und
bezahlen kann, und jeder bewegt sich und spricht, wie ihm um das Herz ist. Hier
verlangt man von den Gästen nicht, daß sie Geld ausgeben und sich betrinken und
sich dabei noch verhalten, als ob sie nüchtern seien. Und wenn schließlich
einer jedes Maß überschreitet, dann ist noch der schwere, schweigsame Zarija
da, der mit seinem mürrischen, griesgrämigen Gesicht auch die wütendsten
Saufbolde und Streithähne entwaffnet und entmutigt. Er beruhigt sie mit einer
langsamen Bewegung seiner schweren Hand und mit seiner tiefen Stimme:
    »Geh, laß das! Mach keinen Unsinn!«
    Aber auch in dieser uralten Schenke,
in der es weder Extrazimmer noch Kellner gibt, denn es bedient immer irgendein
Bursche aus dem Sandschak, in bäuerlicher Tracht, mischen sich jetzt sonderbar
die neuen Gewohnheiten mit den alten.
    Zurückgezogen in die tiefsten
Winkel, schweigen die bekannten und hartgesottenen Rakitrinker. Sie lieben den
Schatten und die Stille, in der sie vor ihrem Raki wie vor einem Heiligtum
sitzen, Gewimmel und Unruhe aber hassen sie. Mit ausgebranntem Magen,
entzündeter Leber, zerrütteten Nerven, unrasiert und vernachlässigt,
gleichgültig gegenüber allem in der Welt, sich selbst zur Last, sitzen sie und
trinken und warten beim Trinken, daß in ihrem Bewußtsein endlich jenes
zauberhafte Licht aufflamme, mit dem der Trunk diejenigen erleuchtet, welche
sich ihm ganz hingeben, eine Freude, für die es süß ist zu leiden, zu verfallen
und zu sterben, die sich aber leider mit den Jahren immer seltener zeigt und
immer schwächer leuchtet.
    Gesprächiger und lauter sind die
Anfänger, meist Bürgerssöhne in den gefährlichen Jahren, die die ersten
Schritte auf dem schlechten Wege tun und so den Tribut leisten, den sie alle
den Lastern des Trunkes und der Untätigkeit, der eine kürzere, der andere
längere Zeit, zahlen. Aber die meisten von ihnen bleiben nicht lange auf
diesem Wege, sondern wenden sich von ihm ab, gründen eine Familie und geben
sich Erwerb und Arbeit, dem bürgerlichen Leben unterdrückter Laster und mäßiger
Leidenschaften hin. Nur eine unbedeutende

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