Ivo Andric
bezahlen kann,
aber nie betrunken wird. Ohne sie und ihre gewagten Scherze kann man sich kein
Trinkgelage denken.
Die Gäste, die von ihnen unterhalten
werden, wechseln einander ab, aber Tschorkan, Sumbo und Schacha sind immer die
gleichen. Sie leben von Musik, Scherz und Raki. Ihre Arbeit liegt im Nichtstun
anderer, ihr Verdienst in der Verschwendung anderer und ihr wahres Leben in den
Nachtstunden, in jenen ungewöhnlichen Stunden, da gesunde und glückliche
Menschen schlafen, wenn Raki und bis dahin gefesselte Neigungen stürmische und
glänzende Stimmungen und unerwartete Begeisterungen schaffen, die immer
dieselben sind, aber immer neu und unübertrefflich scheinen. Sie sind
schweigsame bezahlte Zeugen, vor denen sich jeder so zeigen darf, wie er ist,
nämlich als Mensch von Fleisch und Blut, ohne daß er es nachher bereuen oder
sich schämen muß; mit ihnen und vor ihnen ist alles erlaubt, was vor den
Leuten anstößig, im eigenen Hause aber schändlich und unmöglich wäre. Unter
ihrem Namen und auf ihre Rechnung können sich alle diese wohlhabenden, angesehenen
Väter und Söhne guter Familien für einen Augenblick so geben, wie sie sich vor
niemandem zeigen dürfen, wie sie aber in ihrem Innern sind, wenigstens
zeitweise und wenigstens in einem Teil ihres Wesens. Die Grausamen unter den
Gästen dürfen sie verspotten, die Furchtsamen können sie beschimpfen, die
Freigebigen beschenken; die Eitlen kaufen ihre Schmeicheleien, die
Griesgrämigen und Launischen ihre Scherze und Verschrobenheiten, die Wüstlinge
ihre Verwegenheiten oder Dienste. Sie sind etwas wie Künstler in einer Umwelt,
in der die Kunst unbekannt ist. Sie sind ein ewiges und uneingestandenes
Bedürfnis der Städter, deren Geistesleben eingeengt und verzerrt ist. Solche
Männer und Frauen, Sänger, Spaßmacher, Sonderlinge und Possenreißer gibt es
immer in der Stadt. Verschwindet einer von ihnen und stirbt, dann löst ihn ein
anderer ab, denn neben den Bekannten und Berühmten entwickeln sich und wachsen
neue heran, die neuen Generationen die Zeit verkürzen und das Leben froh
machen. Aber lange Zeit wird vergehen, bis wieder so einer auftaucht, wie es
Salko Tschorkan ist.
Als nach der österreichischen
Besatzung der erste Zirkus in die Stadt kam, verschaute sich Tschorkan in ein
Mädchen, das auf dem Drahtseil tanzte, und begann ihretwegen soviel Dummheiten
und Ausschreitungen, daß er eingesperrt und verprügelt wurde, während die
übermütigen angesehenen Bürger, die ihn verrückt gemacht und dazu angestiftet
hatten, hohe Geldbußen zahlten.
Seitdem sind einige Jahre vergangen,
die Menschen haben sich an viele Dinge gewöhnt, und das Eintreffen von
Musikanten, Seiltänzern und Taschenspielern aus Österreich ruft nicht mehr
solche allgemeine und ansteckende Aufregung hervor, wie sie beim ersten Zirkus
herrschte, aber von Tschorkans Liebe zur Seiltänzerin wird noch immer
gesprochen.
Seit langem verbraucht er seine
Kräfte, indem er am Tage allen dient, des Nachts aber den reichen Bürgern und
Begs als Sorgenbrecher und Narr beim Trinken. Und das schon von Generation zu
Generation. Wenn sich die einen die Hörner abgelaufen haben und sich
zurückziehen, heiraten und sich beruhigen, dann kommen andere, jüngere, die nun
auch ihren Scherz treiben wollen. Nun ist er ausgezehrt und vorzeitig
gealtert; viel mehr ist er in der Schenke als bei der Arbeit, und er lebt nicht
so sehr vom Verdienst wie von Almosen und den Getränken und Imbissen, mit
denen ihn die Reichen freihalten.
In den regnerischen Herbstnächten
versinken die Menschen, die sich in Zarijas Schenke versammelt haben, in
Langeweile. An einem Tisch sitzen einige Bürger. Die Gedanken sind langsam,
und alles wendet sich traurigen und unangenehmen Dingen zu. Die Worte sind
schwer, sie klingen leer und reizbar; die Gesichter sind kalt, abwesend und
mißtrauisch. Auch der Raki kann die Stimmung nicht beleben und heben. Auf der
Bank, in einer Ecke der Schenke, träumt Tschorkan; Schlaf, feuchte Wärme und
der erste Raki überwältigten ihn; heute ist er bis auf die Haut naß geworden,
als er einige Sachen sogar bis nach Okolischte hinauftragen mußte.
Da erwähnt einer jener trübseligen
Gäste am Tisch der Bürger wie zufällig die Seiltänzerin aus dem Zirkus und
Tschorkans einstige unglückliche Liebe für sie. Alle blicken in die Ecke, aber
Tschorkan bleibt regungslos und stellt sich weiter schlafend. Mögen sie
reden,was sie wollen; er hat sich fest entschlossen, und das
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