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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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gerade heute
morgen in einem schweren Katzenjammer, auf ihre Sticheleien und Spottreden
nicht zu antworten und keinen so sinnlosen Scherz mit sich treiben zu lassen,
wie ihn gestern abend die Bürger in dieser gleichen Schenke mit ihm trieben.
    »Ich glaube, daß sie sich auch heute
noch schreiben«, sagt einer, »seht doch einmal diesen Verführer an, da wechselt
er Liebesbriefe mit der einen, und hier im Städtchen hat er noch eine!« wirft
ein anderer ein.
    Tschorkan zwingt sich, unbeweglich
zu bleiben, aber dieses Gespräch über ihn berührt und erregt ihn, als kitzelte
die Sonne sein Gesicht; sein einziges Auge will sich mit Gewalt öffnen, und
alle Muskeln entspannen sich zu einem glücklichen Lächeln. Er kann die
Reglosigkeit und das Schweigen nicht mehr aushalten. Zunächst winkt er wie
nachlässig und gleichmütig mit der Hand ab, dann aber meldet er sich dennoch:
    »Vorbei, das ist längst vorbei.«
    »Ach, vorbei ist das? Eh, Leute seht
doch diesen Erzschelm Tschorkan. Die eine verzehrt sich da in der Fremde
seinetwegen, und die andere ist hier ganz verrückt nach ihm. Das ist vorbei,
auch dies wird vorübergehen, und dann kommt die dritte. Was bist du denn für
ein Sünder, daß du so einer nach der anderen den Kopf verdrehst?«
    Tschorkan ist bereits aufgestanden
und nähert sich ihrem Tisch. Vergessen hat er Schlaf, Müdigkeit und seinen
Entschluß von heute morgen, daß er sich nicht in eine Unterhaltung hineinziehen
lassen will. Die Hand aufs Herz gelegt, versichert er den Herren, er sei nicht
schuld, er sei durchaus nicht der Schürzenjäger und Verführer, als den sie ihn
darstellen wollten. Seine Kleidung ist noch feucht und sein Gesicht verregnet
und schmutzig, denn sein billiger, roter Fez färbt ab, aber es ist übergossen
von einem Lächeln gerührter Seligkeit. Er setzt sich an den Tisch der Herren:
    »Rum für Tschorkan«, schreit Santo
Papo, ein fülliger und lebhafter Jude, Sohn des Mento und Enkel des Mordo Papo,
der angesehenen Eisenhändler.
    Denn in letzter Zeit trinkt
Tschorkan, wenn irgend möglich, Rum statt Raki. Dieses neue Getränk ist wie
geschaffen für solche Leute; es ist stärker, schneller in seiner Wirkung und angenehm
anders als Raki. Es kommt in kleinen Flaschen von zwei Dezi, auf der Etikette
ist das Bild einer jungen Mulattin mit fleischigen Lippen und feurigen Augen,
einem breiten Strohhut auf dem Kopfe, großen, goldenen Ohrringen, und darunter
steht in roter Schrift: Jamaica. (Dieses exotische Getränk für die
Bosniaken im letzten Stadium des Alkoholismus, unmittelbar vor dem Delirium,
wird in Slawonisch-Brod bei der österreichischen Firma Eisler, Sirowatka
& Co. hergestellt.) Wenn er das Bild der Mulattin betrachtet, fühlt
Tschorkan schon das Feuer und den Duft des neuen Getränkes, und sofort denkt er
daran, daß er um diesen Schatz der Erde nie gewußt hätte, wäre er nur vor einem
Jahre gestorben. Wieviel solcher Schönheit gibt es doch auf Erden! Er wird
weich bei diesem Gedanken, und darum hält er nachdenklich immer einige
Augenblicke inne, wenn er eine Flasche Rum öffnet. Und nach der Befriedigung,
die er von diesem Gedanken hat, kommt der Genuß des Getränkes selbst.
    Nun hält er die schmale Flasche vor
das Gesicht, als flüstere er unhörbar mit ihr. Und derjenige, der begann und
dem es gelang, ihn in ein Gespräch zu ziehen, fragt ihn streng:
    »Was hast du denn mit diesem Mädchen
vor? Willst du sie heiraten oder mit ihr nur spielen wie mit den übrigen?«
    Es handelt sich um eine Paascha aus
Duschtsche. Sie ist das schönste Mädchen in der Stadt, ein armes Mädchen ohne
Vater, eine Stickerin wie ihre Mutter.
    In zahlreichen Unterhaltungen und
Trinkereien des vergangenen Sommers sprachen und sangen die jungen Burschen
von Paascha und ihrer unnahbaren Schönheit. Schrittweise und unmerklich
begeisterte sich außer ihnen auch Tschorkan, ohne selbst zu wissen, wie und
warum. So begannen sie,ihren Scherz mit ihm zu treiben. Eines Freitags 21 nahmen sie ihn mit zum Spaziergang durch das Wohnviertel, wo man hinter Toren
und hölzernen Fenstergittern der Bürgerhäuser das erstickte Kichern und
Flüstern unsichtbarer Mädchen hören konnte. Von einem Altan, auf dem auch
Paascha mit ihren Freundinnen war, fiel zufällig ein Stengel Balsamkraut
Tschorkan vor die Füße. Er blieb verwirrt stehen, um nicht darauf zu treten,
und konnte sich doch nicht entschließen, ihn aufzuheben. Die jungen Burschen,
die ihn begleiteten, begannen ihm auf die Schulter zu

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