Ivo Andric
schreiben als
etwas Gottloses und den ewigen Gesetzen und der Logik des Lebens Widersprechendes
erschienen, als etwas, das kein gutes Ende nehmen wird und womit sich der
ehrbare und vernünftige Mensch nicht zufriedengeben konnte. über ihren Köpfen
kräuselte sich der Tabaksrauch. Hoch am Himmel zogen die weißen, zerrissenen
Wolken eines regnerischen Sommers und unten auf der Erde ihre schnellen und
breiten Schatten.
Bis spät in der Nacht saßen dort auf
der gleichen Kapija die jungen Burschen aus den serbischen Häusern und sangen
laut und trotzig das Lied vom serbischen Geschütz, aber niemand hinderte oder
bestrafte sie. Unter ihnen bemerkte man oft Studenten und Schüler der
Mittelschulen. Das waren meist blasse und magere Jünglinge mit langen Haaren
und flachen, breitrandigen, schwarzen Hüten. In diesem Herbst kamen sie sehr
häufig, obgleich das Schuljahr schon begonnen hatte. Mit der Bahn kamen sie
aus Sarajewo, mit Empfehlungen und Losungen, und blieben den Abend über auf der
Kapija, aber sie hielten sich nicht bis zum nächsten Morgen in der Stadt auf,
denn die Wischegrader jungen Burschen brachten sie schon in derselben Nacht
auf illegalen Wegen nach Serbien.
Mit den Sommermonaten aber, wenn die
Zeit der Schulferien kam, belebten sich Stadt und Kapija mit Schülern und Studenten,
die hier heimisch waren und nach Hause kamen. Sie beeinflußten das ganze Leben
in der Stadt.
Ende Juni kam die Gruppe der
Gymnasiasten aus Sarajewo und in der ersten Julihälfte die Juristen, Mediziner
und Philosophen, einer nach dem anderen, von den Universitäten in Wien, Prag,
Graz und Zagreb. Mit ihrem Eintreffen änderte sich auch das äußere Bild der
Stadt. Am Markt und auf der Kapija sah man ihre jungen, veränderten und fremden
Gestalten. In Haltung, Sprache und Kleidung stachen sie von den althergebrachten
Gewohnheiten und immer gleichen Trachten der Kleinstädter ab. Sie trugen
Anzüge in gedeckten Farben nach neuestem Schnitt. Das war jene »Glockenfasson«,
die in ganz Mitteleuropa als neueste Mode und Gipfel des guten Geschmackes
galt. Auf dem Kopf trugen sie weiche Panamastrohhüte mit herabgebogener Krempe
und einem Band in sechs verschiedenen diskreten Farben. An den Füßen hatten
sie breite amerikanische Schuhe mit hohen Kappen. Die meisten trugen auch
einen ungewöhnlich dicken Bambusstock. Im Knopfloch hatten sie das
Metallabzeichen des Sokol oder einer Studentenverbindung.
Die Studenten brachten gleichzeitig
auch neue Worte und Scherze, neue Lieder, neue Tänze von den winterlichen
Bällen und besonders neue serbische, tschechische und deutsche Bücher und
Broschüren mit.
Auch in den ersten zwanzig Jahren
der österreichischen Besatzung kam es vor, daß junge Leute aus der Stadt auf
die Universitäten gingen, aber weder waren es so viele, noch waren sie von
einem solchen Geist beseelt gewesen. Einige von ihnen hatten in diesen beiden
ersten Jahrzehnten das Lehrerseminar in Sarajewo absolviert und zwei oder drei
Staatswissenschaft oder Philosophie in Wien studiert, aber alles dies waren
seltene Ausnahmen gewesen, bescheidene junge Menschen, die ruhig und unbemerkt
ihre Examina abgelegt und sich nach Beendigung ihrer Studien im grauen und
unabsehbaren Heer der Staats beamten verloren hatten. Seit einiger Zeit war
jedoch die Zahl der Studenten aus der Stadt gewaltig gewachsen. Mit Unterstützung
der nationalen Bildungsgesellschaften gingen jetzt schon Bauernsöhne und die
Kinder kleiner Handwerker auf die Universitäten. Noch mehr änderten sich aber
Geist und Charakter der Studenten selbst.
Das waren nicht mehr jene einstigen
Studenten aus den ersten Jahren nach der Besatzung, bescheidene und harmlose
junge Menschen, im engsten Sinne des Wortes nur ihren Studien ergeben. Es
waren aber auch nicht die ungebildeten Lebejünglinge der Stadt und einstigen
jungen Burschen, die künftigen Besitzer und Handwerker, die eine Weile ihren
Überschuß an Kraft und Jugend auf der Kapija austobten und von denen man in der
Familie sagte: »Verheirate ihn, damit er aufhört zu singen!« Dies waren neue
Menschen, die sich in verschiedenen Städten und Staaten und unter den
verschiedensten Einflüssen bildeten und formten. Geblendet vom Gefühl stolzer
Kühnheit, mit dem das erste und unvollständige Wissen den jungen Menschen erfüllt,
und begeistert von den Ideen vom Recht der Völker auf Freiheit und des
Einzelmenschen auf Genuß und Würde, kamen diese Jünglinge aus den großen
Städten, von den Gymnasien und
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