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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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und Verzweiflung. Wenn er sie sah und anhörte, ergriff ihn die
Angst, es schien ihm, als rührten sie unvorsichtig und leichtmütig sogar an die
Grundlagen des Lebens, an jenes, das ihm das Höchste und Heiligste war. Wenn
er von ihnen eine Erklärung forderte, die ihn überzeugt und beruhigt hätte,
dann antworteten sie ihm verächtlich und von oben herab mit großen und unklaren
Worten wie: Freiheit, Zukunft, Geschichte, Wissenschaft, Ruhm, Größe. Und ihm
sträubten sich bei diesen abstrakten Worten die Haare. Darum trank er gern
seinen Kaffee bei Lottika, mit der er über Geschäfte und Ereignisse sprechen
konnte, und zwar auf der Grundlage einer alten und anerkannten Ordnung, fern
von »Politik« und gefährlichen großen Worten, die alles in Frage stellten,
aber nichts erklärten oder bestätigten. Beim Gespräch zog er oft seinen kleinen
Bleistift hervor, der zwar nicht mehr der von vor zwanzig Jahren war, aber
genauso abgenützt und unsichtbar klein aussah, und alles, was sie sprachen,
stellte er auf die unfehlbare und unbestechliche Probe der Zahlen. Im Gespräch
ließen sie manches längst vergangene Erlebnis oder manchen Scherz aufleben,
dessen Teilnehmer meist schon gestorben waren, dann ging auch Herr Pawle,
gebeugt und besorgt, in seinen Laden am Markt hinüber. Und Lottika blieb allein
mit ihren Sorgen und ihren verwickelten Rechnungen.
    Nicht besser als um die
Hoteleinnahmen stand es auch um Lottikas Spekulationen. In den ersten Jahren
nach der Besetzung hatte es genügt, die Aktien irgendeines Betriebes zu kaufen,
und man war sicher gewesen, daß man sein Geld gut angelegt hatte und daß nur
die Höhe des Gewinns fraglich war. Aber damals war das Hotel eben erst eröffnet
worden, und Lottika hatte weder über genug Bargeld verfügt noch damals den
Kredit besessen, den sie sich später erwarb. Und als sie Geld und Kredit besaß,
hatte sich die Lage auf den Märkten bereits geändert. Eine der größten
zyklischen Krisen hatte um die Jahrhundertwende die österreichisch-ungarische
Monarchie erfaßt. Lottikas Papiere begannen wie Staub vor dem Winde zu tanzen.
Sie weinte vor Wut, wenn sie des Sonntags den Wiener »Merkur« mit den letzten
Kursnotierungen las. Alle Einkünfte des Hotels, das damals noch gut ging,
reichten bei weitem nicht aus, um die Löcher zu stopfen, die der allgemeine Sturz
aller Werte gerissen hatte. Damals erlitt sie einen schweren Nervenzusammenbruch,
der volle zwei Jahre anhielt. Sie war wie irrsinnig vor Schmerz. Sie sprach
mit den Leuten, aber weder hörte sie, was man ihr sagte, noch dachte sie an
das, was sie sprach. Sie sah ihnen starr ins Gesicht, aber sie sah nicht sie,
sondern die kleinen Rubriken des »Merkur«, die ihr Glück oder Unglück bringen
würden. Damals begann sie, Lose zu kaufen. Wenn schon alles nur Glücksspiel und
Laune des Zufalls war, dann mochte es das auch ganz und gar sein. In dieser
Zeit hatte sie alle nur möglichen Lose aus aller Herren Ländern. Es gelang ihr,
sich ein Viertellos der großen Spanischen Weihnachtslotterie, deren Hauptgewinn
fünfzehn Millionen Peseten betrug, zu beschaffen. Sie zitterte vor jeder
Ziehung und weinte über den Listen der gezogenen Lose. Sie betete zu Gott, es
möge das Wunder geschehen, daß ihr Los den Hauptgewinn ziehe. Aber sie gewann
nie.
    Vor sieben Jahren hatte sich
Lottikas Schwager Zahler mit zwei wohlhabenden Pensionären zusammengetan, und
sie hatten in der Stadt eine »Moderne Milchgenossenschaft« gegründet. Drei
Fünftel des Gründungskapitals hatte Lottika dazugesteuert. Das Geschäft war im
großen geplant gewesen. Man hatte gerechnet, daß die ersten Erfolge, die nicht
ausbleiben konnten, die Aufmerksamkeit von Kapitalgebern außerhalb der Stadt,
ja auch außerhalb Bosniens auf sich ziehen würden. Gerade als sich das
Unternehmen in diesem kritischen Übergangsstadium befand, brach indessen die
Annexionskrise aus. Das vernichtete jede Hoffnung auf die Heranziehung neuen
Kapitals. Diese Gebiete an der Grenze wurden so unsicher, daß auch die bereits
investierten Kapitalien zu fliehen begannen. Die Genossenschaft wurde nach zwei
Jahren unter völligem Verlust des ganzen angelegten Kapitals liquidiert.
Lottika mußte die besten und sichersten Papiere, wie die Aktien der Sarajewoer
Brauerei AG und der Tuslaer Sodafabrik Solvaj, abstoßen, um den Verlust zu
decken.
    Hand in Hand mit diesen finanziellen
Mißerfolgen, als seien sie mit ihnen verbunden, gingen auch Sorgen und
Enttäuschungen in der

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