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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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wer
eine Kirche stifte und wo das sei. Besonders die Jungen waren neugierig. Aber
die Mütter versuchten, sie zu beruhigen.
    »Sei still, mein Kind! Sei still,
höre auf deine Mutter und hüte dich, solange du lebst, vor den Türken, den
Verfluchten.«
    Aber noch ehe zum zweiten Male die
Dunkelheit herabzusinken begann, ging Abidaga erneut die Baustelle ab, und, zufrieden
mit der Wirkung dieses furchtbaren Beispiels, befahl er, den Bauern vom Gerüst
abzunehmen:
    »Werft den Hund den Hunden vor!«
    In dieser Nacht, die sich schnell
herabsenkte, feucht und lauwarm wie im Frühjahr, erhob sich ein
unverständliches Flüstern und Gewoge unter den Arbeitern. Auch wer früher von
Zerstörung und Widerstand nichts hatte hören wollen, war nun bereit, viel zu
geben und alles zu tun. Der Mensch auf dem Pfahl wurde zur allgemeinen Sorge
und zum allgemeinen Heiligtum. Einige hundert gequälter Menschen, gedrängt von
einem eingeborenen Trieb, von der Kraft des Mitleids und uralter Gewohnheiten,
wallten unbewußt auf und vereinigten sich im Bemühen, die Leiche des Märtyrers
zu bekommen, sie der Schändung zu entreißen und christlich zu beerdigen. In
vorsichtigem Flüstern und Sich-Verabreden von Hütte zu Hütte und Schuppen zu
Schuppen sammelten die Fronarbeiter unter sich die Summe von sieben Groschen,
um mit ihr Merdschan zu bestechen. Für dieses Werk wählten sie drei der
Geschicktesten unter sich, und diesen gelang es, mit dem Henker in Verbindung
zu treten. Naß und müde von der Arbeit, verhandelten nun die drei Bauern,
langsam, verschlagen, umständlich. Ein finsteres Gesicht machend, sich auf dem
Kopfe kratzend und absichtlich stotternd, sprach der älteste Bauer zum Zigeuner:
    »Das wäre also auch geschehen. Das
Urteil ist vollstreckt, und damit mag es sein Bewenden haben. Nur, du weißt,
wie das ist, er ist, sozusagen, ein Mensch, ich möchte sagen, ein Geschöpf
Gottes, und es wäre nicht recht, wenn ihn, zum Beispiel, die wilden Tiere
fräßen und die Hunde zerrissen.«
    Merdschan, der gut heraushörte, daß
es sich um ein Geschäft handle, verteidigte sich, eher traurig als hartnäckig.
    »Aber nicht doch! Sagt mir nichts!
Ihr bringt mich in des Teufels Küche. Ihr wißt ja nicht, welch Luchs der
Abidaga ist!«
    Der Bauer quälte sich, er machte ein
finsteres Gesicht und dachte bei sich: Er ist ein Zigeuner, ein Wesen ohne Gott
und Seele, weder kannst du ihn zum Gevatter machen noch dich mit ihm verbrüdern
oder ihn bei irgend etwas auf Erden oder im Himmel beschwören, die rechte Hand
aber hielt er in der flachen Joppentasche und in ihr krampfhaft die sieben
Groschen.
    »Laß nur, ich weiß schon, wie es
ist. Wir wissen, zum Beispiel, daß auch du es nicht leicht hast. Auch du wirst
dabei nicht zu kurz kommen. Hier, vier Groschen guten Geldes haben wir gefunden,
und wir meinen, das ist genug.«
    »Nein, nein, teurer ist mir mein
Leben als alle Schätze der Welt. Und Abidaga würde mich nicht leben lassen,
denn der sieht alles, auch wenn er schläft. 0 weh, ich vergehe, wenn ich nur
daran denke!«
    »Vier, na, auch fünf, wenn es sein
muß. Alles würde sich finden«, fuhr der Bauer fort, ohne auf das Gejammer des
Zigeuners zu achten.
    »Ich wage
es nicht, ich wage es nicht, und damit Schluß!«
    »Gut, dir ist aufgetragen, daß du
diesen... Leib, zum Beispiel, sagen wir ... den Hunden vorwirfst, und das wirst
du tun, und was weiter aus ihm wird, darum kümmerst du dich nicht, es wird dich
niemand danach fragen. Siehst du, dann würden wir, zum Beispiel, diesen... Leib
nehmen und ihn nach unserem Gesetz beerdigen, aber heimlich, versteht sich,
daß keine Menschenseele darum weiß. Und du wirst, zum Beispiel, am nächsten
Tage sagen, daß die Hunde, sagen wir, diesen ... Leib verschleppt haben. Und niemandem
geschieht etwas, du aber bekommst das Deinige.«
    Der Bauer sprach vorsichtig und
durchdacht, nur stockte er mit wunderlicher Zurückhaltung vor dem Wort Leib,
das er wie ein frommes Wort aussprach.
    »Soll ich etwa um fünf Groschen den
Kopf verlieren! Nein, nein, niemals!«
    »Für sechs«, fügte der Bauer ruhig
hinzu.
    Und da richtete sich der Zigeuner
auf, breitete die Hände aus, machte ein ernsthaftes Gesicht mit dem Ausdruck
erschütternder Ehrlichkeit, dessen nur Menschen fähig sind, die Lüge und Wahrheit
nicht unterscheiden, und stand vor dem Bauern, als sei er der Verurteilte und
der Bauer der Henker.
    »So sei es um meinen Kopf geschehen,
wenn dies nun einmal mein Schicksal ist, und mag meine

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