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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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Zigeunerin als Witwe und
meine Kinder als Waisen zurückbleiben: Gebt mir sieben Groschen und nehmt den
Toten, nur, daß es niemand sieht oder erfährt!«
    Der Bauer schüttelte den Kopf und
bedauerte tief, daß er diesem Gauner alles bis auf den letzten Groschen geben
mußte. Gerade, als habe ihm der in die fest zusammengepreßte Faust geschaut!
    Und dann besprachen sie sich des
langen und breiten, wann Merdschan den Toten vom Gerüst abnehmen, wie er ihn
auf das andere Flußufer hinüberschaffen und auf die steinige Stelle neben dem
Wege werfen werde, damit es Abidagas Leute und Vorübergehende sähen. Und im
Gestrüpp, etwas abseits, würden die drei versteckt sein. Sobald die Dunkelheit
käme, würden sie die Leiche nehmen, sie fortschaffen und beerdigen, aber an
abgelegener Stelle und ohne sichtbare Spuren, damit es vollkommen danach
aussähe, als hätten sie die Hunde über Nacht zerrissen und aufgefressen. Drei
Groschen würde man im voraus geben und vier morgen, nach vollendeter Arbeit.
    Noch in der gleichen Nacht wurde
alles, wie verabredet, ausgeführt.
    Mit der Dämmerung schaffte Merdschan
die Leiche hinüber und warf sie auf das Ufer unterhalb des Weges. Sie glich
nicht jenem Körper, den sie alle diese beiden Tage steif und aufgerichtet auf
dem Pfahl gesehen hatten; das war wieder der alte Radisaw, klein und gebeugt,
nur ohne Blut und ohne Leben. Und sofort kehrte er, gemeinsam mit den Trägern,
über das Gerüst auf das andere Ufer in die Stadt zurück. Die Bauern warteten im
Gestrüpp. Es kam noch vereinzelt ein verspäteter Arbeiter oder Türke vorüber,
der zu seinem Hause zurückkehrte. Dann wurde die ganze Gegend ruhig und dunkel.
Die Hunde, jene großen, räudigen, hungrigen und verängstigten, heimat- und
herrenlosen Hunde, begannen sich zu melden. Versteckt im Gebüsch, warfen die
Bauern mit Steinen nach ihnen und vertrieben sie, daß sie mit eingezogenem
Sehwanze flüchteten, aber nur auf zwanzig Schritte von der Leiche, und dort
lauerten sie, was weiter geschehen würde. In der Dunkelheit bemerkte man, wie
ihre Augen glühten und leuchteten. Als man schon sah, daß die Nacht voll
hereingebrochen war und keine Wahrscheinlichkeit bestand, daß noch irgend
jemand dazukommen würde, traten die Bauern mit Hacke und Schaufel aus dem
Versteck heraus. Zwei Bretter, die sie ebenfalls mitgebracht hatten, legten sie
eines auf das andere und darauf den Toten, und so trugen sie ihn bergauf.
Dort, in einer Vertiefung, die die Frühjahrs- und Herbstwasser auf ihrem Sturz
von den Bergen zur Drina geschaffen hatten, entfernten sie schnell, ruhig,
ohne Worte und Geräusch den groben Kies, der sich dort als trockener,
unaufhörlicher Steinbach herunterrollte. In dieses Grab legten sie den
steifen, kalten und verkrampften Körper. Der älteste Bauer sprang in die Grube,
schlug mehrmals vorsichtig mit dem Stahl auf den Stein und entzündete zunächst
den Schwamm und dann die Spitze eines zusammengerollten Wachsstockes, die er
mit beiden Händen schützte; dann pflanzte er sie zu Häupten des Verstorbenen
ein und bekreuzigte sich dreimal schnell und laut. Mit ihm bekreuzigten sich
auch die beiden oben im Dunkel. Danach schwenkte der Bauer seine leere Hand
zweimal über dem Toten, als begieße er ihn mit unsichtbarem Wein, und sprach
zweimal ruhig und demütig die rituellen Worte:
    »Mit den Heiligen nimm Du, Christus,
die Seele Deines Dieners auf.«
    Dann flüsterte er noch einige Worte,
zusammenhanglos und unverständlich, aber gesprochen wie ein Gebet, feierlich
und schwer, so daß sich die beiden über dem Grab unaufhörlich bekreuzigten.
Und als er verstummte, reichten sie ihm von oben die zwei Bretter, und er fügte
sie über der Leiche schräg der Länge nach ein, daß sie ein Dach bildeten. Er
bekreuzigte sich noch einmal, löschte die Kerze und zog sich aus dem Grabe. Vorsichtig
und langsam schickten sie sich dann gemeinsam an, Erde darauf zu werfen, die
sie gut festtraten, damit kein sichtbarer Hügel über dem Grab bleibe. Und als
sie damit fertig waren, brachten sie den Kies wieder darauf, als steinernen
Bach über die frisch ausgegrabene Erde, bekreuzigten sich noch einmal und
machten sich in einem großen Bogen auf den Rückweg, um möglichst weit vom Grabe
auf den Weg zu stoßen.
    Noch in der gleichen Nacht fiel ein
dichter, stiller Regen ohne Wind, und der Morgen, der heraufdämmerte, war voll
milchigem Nebel und schwerer, lauer Feuchtigkeit, die das ganze Flußtal
erfüllte. An einem weißen Glanz,

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