Ivo Andric
als sei sie ganz aus einer einzigen dünnen
Steinplatte.
Es verschwanden auch jene hölzernen
Wassermühlen und Hütten, in denen die Reisenden aus Not übernachtet hatten. An
ihrer Stelle stand das feste, großartige Karawan-Serail und nahm die Reisenden
auf, deren Zahl mit jedem Tage wuchs. Den Chan betrat man durch ein
schöngeformtes breites Tor. Zu beiden Seiten des Tores waren zwei große
Fenster und in ihnen Gitter, aber nicht aus Eisen, sondern aus Kalkstein
gemeißelt, jedes aus einem Stück. Im weiten, rechteckigen Hof war Platz für Gepäck
und Waren, und ringsum reihten sich die Türen von sechsunddreißig Zimmern.
Hinten, unter dem Hügel, waren die Ställe; zum allgemeinen Erstaunen waren
auch sie aus Stein, als habe man sie für das Gestüt des Sultans gebaut.Einen
solchen Chan gab es von Sarajewo bis Jedren 11 nicht. Hier konnte jeder Reisende einen Tag und eine Nacht bleiben und, ohne
einen Pfennig zu zahlen, Nachtquartier, Feuer und Wasser für sich, seine
Bedienung und seine Pferde bekommen.
Alles dies war, wie auch die Brücke
selbst, eine Stiftung des großen Wesirs Mehmed Pascha, der vor mehr denn
sechzig Jahren dort hinter diesen Bergen oben im Dorfe Sokolowitschi geboren
war und den sie in seiner Kindheit mit einer Schar serbischer Bauernkinder als
Blutzoll nach Stambul geführt hatten. Die Kosten für die Erhaltung des
Karawan-Serail kamen aus einer Stiftung, die Mehmed Pascha aus einem großen
Besitz geschaffen hatte, den er in den neueroberten Gebieten, in Ungarn,
erbeutete.
So verschwanden mit dem Bau der
Brücke und des Chan viele Mühen und Unbequemlichkeiten. Vielleicht wäre auch
jener ungewöhnliche Schmerz verschwunden, den der Wesir in seiner Kindheit von
der Wischegrader Fähre aus Bosnien mitgebracht hatte, der Schmerz der
schwarzen, scharfen Klinge, die ihm von Zeit zu Zeit die Brust entzweischnitt.
Aber es war Mehmed Pascha nicht bestimmt, ohne diesen Schmerz zu leben und
sich lange des Gedankens an seine Wischegrader Stiftung zu erfreuen. Bald nach
Abschluß der letzten Arbeiten, als gerade erst das Karawan-Serail richtig
begonnen hatte, Gäste aufzunehmen, und als die Brücke in der Welt von sich
hören machte, da fühlte Mehmed Pascha noch einmal den Schmerz der »schwarzen
Klinge« in seiner Brust. Und dies war das letzte Mal.
Eines Freitags, da er mit seinem
Gefolge die Moschee betrat, näherte sich ihm ein exaltierter zerlumpter
Derwisch und streckte ihm die linke Hand, Almosen heischend, entgegen. Der
Wesir wandte sich um und befahl einem Manne aus seinem Gefolge, ihm etwas zu
geben, der Derwisch aber zog aus seinem rechten Ärmel ein schweres
Fleischmesser hervor und stieß es dem Wesir mit aller Kraft zwischen die
Rippen. Die Begleiter hieben den Derwisch zusammen. Der Wesir und sein Mörder
hauchten im gleichen Augenblick ihren Atem aus. Auf den grauen Steinplatten
vor der Moschee lagen sie so einige Augenblicke einer neben dem anderen. Der
ermordete Mörder, grob, vollblütig, mit ausgestreckten Beinen und Armen, als
sei er noch getragen vom zornigen Schwung seines sinnlosen Stoßes. Und neben
ihm der große Wesir, mit über der Brust geöffnetem Obergewand und weit
fortgeschleudertem Turban. In den letzten Lebensjahren war er abgemagert und
ging gebeugt, sein Gesicht war irgendwie dunkel und scharf geworden. Und wie er
so mit entblößter Brust und barhäuptig, blutig, verkrampft und eingefallen
dalag, glich er mehr einem alten zu Tode geprügelten Bauern aus Sokolowitschi,
denn dem gestürzten Würdenträger, der noch bis vor einigen Minuten das
Türkische Reich gelenkt hatte.
Monate und Monate vergingen, bis die
Nachricht von der Ermordung des Wesirs auch zur Stadt vordrang, und dann auch
nicht als klar bestimmte Tatsache, sondern als heimliches Geflüster, das wahr
sein konnte oder auch nicht. Denn im Türkischen Reich war es nicht gestattet,
schlechte Nachrichten und Unglücksfälle zu verbreiten, auch dann nicht, wenn
sie im Nachbarlande geschehen waren, wieviel weniger aber, wenn es sich um
eigenes Unglück handelte. Im übrigen hatte auch niemand Veranlassung, viel und
lange vom Tode des großen Wesirs zu sprechen. Die Partei seiner Gegner, der es
schließlich gelungen war, ihn zu stürzen, sorgte dafür, daß mit seiner
feierlichen Beisetzung auch jede lebhaftere Erinnerung an ihn begraben wurde.
Und Mehmed Paschas Verwandte, Mitarbeiter und Anhänger in Stambul hatten
größtenteils nichts dagegen, daß man vom einstigen großen Wesir möglichst
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