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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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Suljaga Osmanagitsch, der Kaufmann Petar Bogdanowitsch, Mordo Papo,
Pope Mihailo, ein kräftiger, schweigsamer und kluger Pfarrer, der dicke und
ernste Mula Ismet, der Wischegrader Hodscha, und Ilias Levi, genannt Hadschi
Liatscho, der Rabbiner, bis weit über die Stadt hinaus bekannt ob seines
gesunden Urteils und offenen Wesens. Da waren noch in bunter Reihe etwa zehn
angesehene Bürger aller drei Glaubensrichtungen. Alle waren sie durchnäßt,
bleich, mit gespannten Kinnmuskeln, aber äußerlich ruhig. Sie saßen, rauchten
und sprachen über das, was beim Bergen geleistet und was noch zu tun sei. Jeden
Augenblick kamen jüngere Männer herein, von denen das Wasser in Bächen
herabrann, und meldeten, daß alles Lebendige auf den Mejdan und die Festung
hinaufgeschafft und dort in den türkischen und den christlichen Häusern
untergebracht sei und daß das Wasser unten gleichmäßig steige und eine Gasse
nach der anderen erobere.
    Wie die Nacht weiterrückt – und sie
rückt langsam weiter, als sei sie gewaltig und schwelle und wachse unaufhörlich
wie das Wasser da unten –, da beginnen die Bürger und Ältesten sich an Kaffee
und Raki zu erwärmen. Es bildet sich ein warmer und enger Kreis, wie eine neue
Existenz, aus reiner Wirklichkeit und doch in sich unwirklich, die nicht ist,
was gestern war, noch was morgen sein wird; etwas wie eine Insel, aus dem
Strome der Zeit aufgetaucht. Das Gespräch wächst und wird stärker und ändert,
wie auf eine unausgesprochene Verabredung, seine Richtung. Sie vermeiden es,
sogar von früheren Hochwassern, die nur aus der Erzählung bekannt sind, zu
sprechen; sie erzählen von anderen Dingen, die nichts mit dem Wasser und dem Unglück
gemein haben, das in diesem Augenblick geschieht.
    Verzweifelte Männer machen
verzweifelte Anstrengungen, um ruhig und gleichmäßig, ja fast leichtsinnig zu
erscheinen. Nach einem stillschweigenden, abergläubischen Übereinkommen und
nach den ungeschriebenen, aber geheiligten Regeln bürgerlicher Würde und
kaufmännischer Ordnung, die von alters her herrschen, hielt es jeder für seine
Pflicht, sich anzustrengen und in diesem Augenblick wenigstens scheinbar seine
Sorgen und Ängste zu verbergen und im Angesicht des Unglücks, gegen das man
nichts vermag, in scherzendem Ton von fernliegenden Dingen zu sprechen.
    Aber gerade als die Männer begannen,
sich in diesem Gespräch zu beruhigen, den Augenblick des Vergessens und in ihm
die Ruhe und Kraft zu finden, die sie am nächsten Morgen so sehr brauchen
würden, da kam jemand hinzu und führte den Kosta Baranatz hinein. Dieser noch
junge Kaufmann war vollkommen durchnäßt, voller Schlamm bis zu den Knien.
Verwirrt vom Licht und den vielen Menschen, betrachtete er seine in Unordnung
geratenen Kleider wie im Traume und wischte sich mit der flachen Hand das
Wasser aus dem Gesicht. Man machte ihm Platz und bot ihm Raki an, den er nicht
bis zum Munde zu bringen vermochte. Er zitterte am ganzen Leibe. Man flüsterte
sich zu, er habe in den dunklen Strom springen wollen, der jetzt über dem
sandigen Ufer lief, gerade über der Stelle, an der seine Scheunen und Schuppen
gewesen waren.
    Es war dies ein junger Mann, ein
Zugewanderter, den man vor einigen zwanzig Jahren als Lehrling in die Stadt
gebracht hatte. Hier hatte er später in ein gutes Haus eingeheiratet und es
schnell zu etwas gebracht. Als Bauernsohn, der in den letzten paar Jahren durch
kühne und rücksichtslose Geschäfte schnel reich geworden und viele Häuser
überflügelt hatte, war er nich daran gewöhnt, zu verlieren, noch verstand er,
ein Unglück zu ertragen. Und in diesem Herbst hatte er große Mengen an Pflaumen
und Nüssen, weit über seine wirklichen Kräfte hin aus, in der Berechnung
aufgekauft, daß er in diesem Winte: den Preis für Trockenpflaumen und Nüsse
bestimmen, so seiner Schulden ledig werden und verdienen würde, so wie es ihn
im vergangenen Jahre geglückt war. Jetzt aber war er vernichtet Wiederum mußte
eine gewisse Zeit verstreichen, um den Eindruck zu löschen, den der. Anblick
dieses verlorenen Mannes auf alle gemacht hatte. Denn sie waren ja alle, der
eine mehr, der andere weniger, von diesem Hochwasser betroffen, und nur aus
angeborenem Anstand beherrschten sie sich besser als dieser Emporkömmling.
    Die ältesten und angesehensten
Männer lenkten das Gespräch wieder auf harmlose Dinge. Man begann lange
Erzählungen aus alten Zeiten, die keinerlei Verbindung zu dem Unglück besaßen,
das sie hier

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