Ivo Andric
verließen die Arbeit. Der damalige
Mutevelia, der Verwalter der Stiftung, Dauthodscha Mutewelitsch – denn so
wurde ihre Familie im Volk genannt, und dies blieb ihnen als Familienname –,
wandte sich an alle Stellen, aber eine Antwort bekam er nicht. Die Reisenden
bedienten sich selbst und säuberten den Chan, soviel für sie und ihre Tiere
unbedingt notwendig war, aber jeder, der abreiste, hinterließ seinen Schmutz
und seine Unordnung, die sollte der nächste beseitigen und aufräumen, so wie
auch er das aufgeräumt, was er in Unordnung und Schmutz vorgefunden hatte.
Aber hinter jedem blieb ein wenig mehr Unsauberkeit zurück, als er vorgefunden
hatte.
Dauthodscha tat alles, um den Chan
zu retten und am Leben zu erhalten. Zunächst verbrauchte er vom Seinigen, und
dann begann er bei den Verwandten zu borgen. So flickte er von Jahr zu Jahr das
wertvolle Gebäude und hielt es instand. Denen, die ihm vorhielten, daß er sich
zugrunde richte, indem er etwas erhalte, was sich nicht erhalten lasse,
erwiderte er, daß er sein Geld gut anlege, denn er leihe es Gott aus, und er
als Mutevelia, als Verwalter, sei der letzte, der diese Stiftung aufgeben
dürfe, die, wie es scheine, alle aufgegeben hätten.
Dieser weise und fromme,
dickschädlige und hartnäckige Mann, dessen sich die Stadt noch lange erinnerte,
ließ sich durch nichts von seinem aussichtslosen Mühen abbringen. In seiner
hingebungsvollen Arbeit hatte er sich längst in die Erfahrung geschickt, daß
unser Schicksal auf Erden im Kampf gegen Zerstörung, Tod und Mangel
beschlossen liegt und daß der Mensch verpflichtet sei, auch dann in diesem
Kampf auszuharren, wenn er völlig aussichtslos sei. Wenn er vor dem Chan saß,
der unter seinen Augen verfiel, dann antwortete er jenen, die ihm abrieten
oder ihn bedauerten:
»Mich braucht ihr nicht zu bedauern.
Denn wir alle sterben nur einmal, die großen Männer aber zweimal; einmal, wenn
sie von der Erde verschwinden, und zum zweitenmal, wenn ihre Stiftung
zerfällt.«
Als er schon keine Taglöhner mehr
beschäftigen konnte, jätete er, alt wie er war, mit seinen eigenen Händen das
Unkraut um den Chan und machte kleinere Ausbesserungen am Gebäude. So ereilte
ihn auch eines Tages der Tod, als er auf das Dach gestiegen war, um einige
beschädigte Dachziegel auszubessern. Es war natürlich, daß ein Wischegrader
Hodscha nicht erhalten konnte, was ein Großwesir gegründet, die historischen
Ereignisse aber zum Verfall verurteilt hatten.
Nach Dauthodschas Tode begann der
Chan schnell baufällig zu werden. überall zeigten sich die ersten Zeichen des
Verfalls. Die Kanäle verstopften sich und begannen zu stinken, das Dach ließ
den Regen durch, Fenster und Türen den Wind, und die Ställe versanken in
Schmutz und Unkraut. Aber von außen sah das herrliche steinerne Gebäude noch
immer unverändert, ruhig und unvergänglich in seiner Schönheit aus. Jene
großen Bogenfenster im Erdgeschoß mit den Gittern, die zart wie feinste
Spitzen, aus weichem Stein in einem Stück geschnitten waren, blickten ruhig in
die Welt. Aber an den oberen, einfachen Fenstern zeigten sich schon die
Zeichen des Mangels und der Verwahrlosung und der inneren Unordnung. Nach und
nach begannen die Leute das Nachtquartier in der Stadt zu umgehen oder in
Ustamujitschs Chan in der Stadt für Bezahlung zu übernachten. Immer seltener
wurden die Reisenden im KarawanSerail, obgleich man dort statt Bezahlung nur
das obligate Gebet für das Seelenheil des Wesirs auszusprechen brauchte. Als
es schließlich klar wurde, daß das Geld nicht kommen und niemand die Stiftung
des Wesirs übernehmen würde, gaben alle, auch der neue Mutevelia, die Sorge für
das Gebäude auf, und das Karawan-Serail blieb stumm und verlassen und begann zu
verfallen wie alle Gebäude, in denen niemand lebt und um die sich niemand
kümmert. Rund herum wuchsen wildes Gras, Kletten und Dornen. Auf dem Dach
begannen Krähen und Dohlen zu nisten und sich in schreienden, schwarzen
Schwärmen niederzulassen.
So wurde der Steinerne Chan des
Wesirs vorzeitig und unerwartet – alle solchen Dinge kommen scheinbar
unerwartet! – verlassen und begann zu verfallen.
Aber wenn auch das Karawan-Serail
durch das Eintreffen ungewöhnlicher Umstände seiner Aufgabe untreu werden und
vorzeitig verfallen mußte, blieb die Brücke, die weder Aufsicht noch Unterhalt
brauchte, aufrecht und unverändert, verband die getrennten Ufer und man trug,
wie am ersten Tage ihres Bestehens, lebende und tote
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