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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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getrost, irgendwie sauber in seiner Armut, leicht und lächelnd,
trotz seinem grauen Haar und runzligen Gesicht. Dieses Hutzelmännchen,
Jelisije aus Tschajnitze, war ein Sonderling. Schon seit Jahren besuchte er,
leichtmütig, feierlich und lächelnd, Kir chen und Klöster, Kirmessen und
Feiern und betete zu Gott, kasteite sich und fastete. Nur hatten ihn früher die
türkischen Behörden nicht weiter beachtet und ihn als Geistesschwachen und
Gottesmann ziehen lassen, wohin er wollte, und sprechen lassen, was er wollte.
Aber mit dem Aufstand in Serbien waren andere Zeiten und schärfere Maßnahmen
gekommen. Aus Serbien waren einige türkische Familien in der Stadt eingetroffen,
denen die Aufständischen alles niedergebrannt hatten; sie verbreiteten jetzt
Haß und suchten Rache. Überall wurden Wachen ausgestellt und die Aufsicht
verschärft, die einheimischen Türken aber waren besorgt, erbittert und
mißgestimmt, und so wurde alles argwöhnisch und spinnefeindlich angesehen.
    Der Greis war auf dem Wege von
Rogatitza, zu seinem Unglück als erster Reisender, gerade an dem Tage
herangekommen, da das Blockhaus fertiggestellt und die erste Wache dort
eingezogen war. Er war in der Tat zur Unzeit herangekommen, der Tag graute
erst, und der Alte trug vor sich, wie man eine brennende Kerze trägt, einen
dicken Stab, der mit sonderbaren Zeichen und Lettern geschmückt war. Wie die
Fliege von der Spinne, wurde er vom Blockhaus verschlungen. Sie befragten ihn
kurz. Er solle sagen, wer er sei, was er sei und woher, und er solle die Muster
und die Schrift auf dem Stab erklären; er aber antwortete auch, was sie ihn
nicht fragten, frei und offen, als spräche er vor einem gerechten Gottesgericht
und nicht vor den bösen Türken. Er sagte, er sei niemand und nichts; ein Reisender
auf Erden, ein vergänglicher Reisender in diesen vergänglichen Zeiten, ein
Schatten auf der Sonne, aber er verbringe seine kurzen und gezählten Tage im
Gebet und ziehe von Kloster zu Kloster, bis er alle heiligen Stätten,
Stiftungen und Gräber der serbischen Könige und Großen besucht habe. Und die
Figuren und Buchstaben auf dem Stabe bezeichneten die Zeiten serbischer
Freiheit und Größe, die vergangenen und die künftigen. Denn, so sagte der Greis
mit sanftem Lächeln voll frommen Staunens, die Zeit der Auferstehung sei
nahegekommen, und, nach dem zu urteilen, was man in den Büchern lese und auf
Erden und am Himmel sehen könne, sei sie ganz nahe. Das Reich der Auferstehung,
erkauft in Versuchungen, und auf Gerechtigkeit gegründet.
    »Ich weiß, ihr Herren, daß es euch
nicht lieb ist, solches zu hören, und daß ich vor euch nicht solche Dinge sagen
sollte, aber ihr habt mich aufgehalten und fordert, daß ich euch in allem die
reine Wahrheit sage, also kann ich nicht anders. Gott ist die Wahrheit, und es
gibt nur einen Gott! Und nun erbitte ich von euch, laßt mich ziehen, denn es
verlangt mich, noch heute nach Banja in das Kloster der Heiligen Dreieinigkeit
zu kommen. «
    Dolmetsch Schefko übersetzte und
bemühte sich vergeblich, bei seinen mangelhaften Kenntnissen der türkischen
Sprache Ausdrücke für abstrakte Begriffe zu finden. Der Wachhabende, ein
kränklicher Anatolier, hörte, noch schlaftrunken, auf die unklaren, kaum zusammenhängenden
Worte des Übersetzers und warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf den Greis, der
ihn ohne Furcht und böse Gedanken ansah und mit den Augen bestätigte, daß
alles so sei, wie es der Dolmetsch sagte, obgleich er die türkischen Worte
nicht verstand. Dem Wachhabenden dämmerte es irgendwo in seinem Bewußtsein,
daß dies so ein verrückter Giauren-Derwisch sei, ein gutmütiger und harmloser
Narr. Und im Stab des Alten, den sie sofort an mehreren Stellen durchsägt
hatten, im Glauben, er sei hohl und in ihm seien Briefe versteckt, wurde nichts
gefunden. Aber in Schefkos Übersetzung klangen die Worte des Alten verdächtig,
sie rochen nach Politik und gefährlichen Absichten. Der Wachhabende hätte, wenn
es nach ihm gegangen wäre, diesen Armen und Geistesschwachen seines Weges
weiter ziehen lassen; aber da hatten sich auch die übrigen Soldaten und die
Bürgerwachen angesammelt und hörten der Vernehmung zu. Da war auch sein Wachtmeister
Tahir, ein triefäugiger und heimtückischer Bösewicht, der ihn schon mehrfach
bei den Vorgesetzten angeschwärzt und des Mangels an Vorsicht und Strenge
beschuldigt hatte. Und dann dieser Schefko, der beim Übersetzen augenscheinlich
die Worte so verdrehte, wie es

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