Ivo Andric
gewartet. Gott,
wie schwer war es, zu antworten, unmöglich, alles zu sagen, und ungünstig zu
schweigen! Und man mußte sich eilen, denn die Zeit verging und vergrößerte nur
die Verwirrung und Verlegenheit. Und wie lange dauerte nun schon dieses
Schweigen?
»Na?« meldete sich der Rittmeister.
Alle kannten dieses »na«, klar, glatt, mächtig, wie das Geräusch eines starken,
komplizierten und gut geölten Mechanismus. – Und Fedun begann zu stottern und
sich von Anfang an zu verwirren, als sei er schuldig.
Die Nacht verging, aber die Lampen
erloschen weder in der Kaserne noch im Amtsgebäude. Die Verhöre, Protokolle und
Gegenüberstellungen reihten sich aneinander. Verhört wurden auch die anderen,
die an diesem Tage auf der Kapija auf Posten gestanden hatten. Man hatte auch
einige der Passanten aufgefunden und vorgeführt. Aber es war augenscheinlich,
daß sich der Ring um Fedun und Stewan und in ihrem Verhör um die »alte« Türkin
schloß, die von einem Mädchen geführt worden war.
Dem jungen Burschen schien es, als
stürzten jene verzauberten und unentwirrbaren Verantwortlichkeiten aus seinen
Träumen über ihm zusammen. Beim Morgengrauen wurde er Stewan gegenübergestellt.
Der Bauer blinzelte hinterhältig, sprach gekünstelt mit einer irgendwie dünner
gewordenen Stimme und berief sich ständig darauf, daß er ein schreibunkundiger
Bauer sei und sich in allem »diesem Herrn Fedun«, wie er seinen Wachkameraden
in seiner Rede ständig bezeichnete, gefügt habe.
So muß man antworten, dachte der
junge Bursche, dem der Magen vor Hunger knurrte und der vor Aufregung zitterte,
obgleich ihm immer noch nicht klar war, um was es sich handelte und worin
eigentlich sein Vergehen und seine Schuld lagen. Der Morgen aber brachte ihm
die volle Erklärung.
Die ganze Nacht drehte sich dieser
unwahrscheinliche Reigen im Kreise; in seiner Mitte stand der Rittmeister;
kalt, unerbittlich, selbst unbeweglich und stumm, ließ er niemand zur Ruhe
kommen und schweigen. Mit seiner Haltung und seinem Blick glich er nicht so
sehr einem Menschen, sondern eher einer Verkörperung der Pflicht, einem
furchtbaren Priester des Rechtes, der Schwächen und Gefühlen unzugänglich,
begabt mit unirdischer Kraft, ohne jegliches menschliche Bedürfnis nach
Speise, Schlaf und Entspannung. Als es dämmerte, wurde Fedun zum zweiten Male
vor den Rittmeister geführt. Im Arbeitszimmer waren außer dem Rittmeister und
Draschenowitsch ein bewaffneter Gendarm und ein weibliches Wesen, das dem
jungen Burschen auf den ersten Eindruck unwirklich erschien. Die Lampe war
gelöscht. Das Zimmer, mit Blick nach Norden, war kalt und dämmerig. Der junge
Bursche sah mit Staunen, wie der schreckliche Traum der Nacht auch im
Tageslicht nicht verblassen und verschwinden wollte.
»Ist das der Mann, der auf Posten
war?« fragte Draschenowitsch die Frau.
Mit einer großen Anstrengung, die
ihn förmlich schmerzte, betrachtete Fedun sie jetzt zum erstenmal genau. Es
war das mohammedanische Mädchen von gestern abend, nur ohne Boschtscha,
barhäuptig, mit schweren braunen Zöpfen, die locker um den Kopf lagen. Sie trug
bunte türkische Pluderhosen, aber die übrige Kleidung, Hemd, Gürtel und
ärmellose Weste, war die der serbischen Mädchen aus den Dörfern der Hochebene
oberhalb der Stadt. Ohne die Boschtscha wirkte sie älter und stärker. Ihr
Gesicht war verändert, der Mund groß und böse, die Augenlider gerötet und die
Augen hell und klar, als sei der Schatten von gestern abend verflogen.
»Er ist es«, antwortete die Frau mit
einer gleichmütigen, festen Stimme, die Fedun ebenso neu und ungewöhnlich war
wie ihr ganzes jetziges Aussehen.
Draschenowitsch fuhr fort, sie zu
fragen, wie und wie oft sie im ganzen über die Brücke gegangen sei, was sie
Fedun und was er ihr gesagt habe. Sie antwortete im allgemeinen richtig, aber
gleichgültig und trotzig.
»Gut, Jelenka, was hat er dir das
letztemal gesagt, als du vorübergekommen bist?«
»Irgendwas hat er gesagt, aber ich
weiß nicht recht was, denn ich habe nicht auf ihn gehört, sondern nur daran
gedacht, wie ich Jakob über die Brücke bringe.«
»Daran hast du gedacht?«
»Daran«, antwortete die Frau
unwillig, die augenscheinlich übermüdet war und nicht mehr sagen wollte, als
sie mußte. Aber der Wachtmeister war hartnäckig. Mit einer Stimme, in der etwas
wie Drohung lag und die verriet, daß sie an widerspruchslosen Gehorsam gewöhnt
war, verlangte er, die Frau solle alles wiederholen, was
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