Ivo Andric
sie beim ersten Verhör
auf dem Amt ausgesagt.
Sie wehrte sich, kürzte und überging
einzelne Stellen ihrer früheren Aussage, er aber unterbrach sie immer wieder
und führte sie mit scharfen und geschickten Fragen wieder zurück.
Nach und nach kam die ganze Wahrheit
zu Tage. Sie hieß Jelenka und war aus Tositschi, von der Oberen Lijeska. Im vergangenen
Herbst war der Hajduk Jakob Tschekrlija in diese Gegend gekommen und hatte
dort, versteckt in einer Hütte oberhalb ihres Dorfes, überwintert. Aus ihrem
Hause hatten sie ihm Essen und saubere Wäsche gebracht. Meist hatte sie es ihm
gebracht. Dabei hatten sie sich ineinander verschaut und sich einander
versprochen. Und als der Schnee zu tauen begann und die Streifkorpsrazzien
häufiger wurden, beschloß Jakob, um jeden Preis über die Grenze nach Serbien
zu gehen. Die Drina war um diese Jahreszeit schwer zu überschreiten, auch wenn
sie nicht bewacht gewesen wäre, auf der Brücke aber stand ein ständiger
Posten. Er entschloß sich für die Brücke und erdachte einen Plan, wie er die
Wache täuschen wollte. Sie war mit ihm gegangen, entschlossen, ihm um jeden
Preis zu helfen, auch um den ihres Lebens. Zuerst stiegen sie bis nach Lijeska
hinunter und dann weiter bis in eine Höhle oberhalb Okolischte. Schon früher,
in Glasinatz, hatte Jakob von einigen Zigeunern türkische Frauenkleider
beschafft: Schleier, Pluderhosen und Umschlagtuch. Und dann hatte sie nach
seinen Anweisungen begonnen, über die Brücke zu gehen, und zwar zu einer Zeit,
da nur wenig Mohammedaner da waren, damit niemand von ihnen frage, zu wem
dieses unbekannte Mädchen gehöre, und damit sich die Wache an sie gewöhne. So
war sie an drei aufeinanderfolgenden Tagen über die Brücke gegangen, und dann
hatte sie beschlossen, auch Jakob hinüberzuführen.
»Aber warum hast du ihn gerade
hinübergebracht, als dieser Soldat auf Posten war?«
»Eben weil er mir irgendwie am
weichsten vorkam.«
»Darum?«
»Darum. «
Auf des Wachtmeisters Drängen fuhr
die Frau fort: Als alles bereits so vorbereitet gewesen, da habe sich Jakob in
das Übergewand gehüllt, und sie habe ihn mit der ersten Dämmerung als ihre
alte Großmutter hinübergebracht, an dem Posten vorüber, der nichts bemerkt
hätte, denn dieser Junge habe auf sie geschaut und nicht auf die Alte, der
ältere aber habe auf dem Sofa gesessen, als ob er schlafe.
Als sie auf den Markt kamen, gingen
sie aus Vorsicht nicht geraden Weges durch die Stadt, sondern auf Nebenstraßen.
Das verriet sie. Sie verliefen sich in der Stadt, die sie nicht kannten, und
statt an der hölzernen Brücke über den Rsaw herauszukommen, um dann den Weg
einzuschlagen, der von der Stadt zur einen wie zur anderen Grenze führt, fanden
sie sich vor irgendeiner türkischen Kaffeestube, aus der gerade einige Leute
herauskamen. Darunter war auch ein Gendarm, ein Türke, aus der Stadt gebürtig.
Ihm erschien diese vermummte Alte, mit dem Mädchen, das er bisher noch nie
gesehen, verdächtig, und er folgte ihnen. Er ging ihnen bis zum Rsaw nach. Dort
trat er an sie heran, um sie zu fragen, wer sie seien und wohin sie gingen.
Jakob, der durch den Schleier vor seinem Gesicht die Bewegungen des Gendarmen
sorgfältig beobachtet hatte, hielt nun den Augenblick zu fliehen für gekommen.
Er warf das Übergewand ab und stieß Jelenka mit solcher Kraft gegen den Gendarmen,
daß sie beide taumelten (»denn er ist schmächtig und klein von Gestalt, aber
stark wie die Erde und hat ein Herz wie nur selten ein Mensch!«). Sie hatte
sich, wie sie selbst ruhig und sachlich zugab, dem Gendarmen zwischen die Beine
gedrängt. Während sich der Gendarm von Jelenka freimachte, durchwatete Jakob
den Rsaw, als wäre er eine kleine Pfütze, obgleich ihm das Wasser bis über die
Knie ging, und verlor sich auf der anderen Seite im Gestrüpp. Sie hätten sie
danach auf das Amt gebracht, sie geschlagen und ihr gedroht, aber sie könne und
wolle nichts weiter sagen.
Vergeblich bemühte sich der
Wachtmeister mit umgehenden Fragen und mit Schmeicheleien und Drohungen, aus
dem Mädchen noch etwas mehr herauszubringen und etwas über sonstige
Mittelspersonen und Helfershelfer und Jakobs weitere Absichten zu erfahren.
Auf sie machte dies nicht den geringsten Eindruck. Worüber sie sprechen
wollte, darüber hatte sie gesprochen, und mehr als genug, worüber sie aber
nichts sagen wollte, war aus ihr trotz allen Bemühungen Draschenowitschs nicht
herauszubringen.
»Es ist besser, du sagst uns jetzt
alles,
Weitere Kostenlose Bücher