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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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was du weißt, als daß sie den Jakob verhören und foltern, den sie jetzt
sicher an der Grenze gefaßt haben.«
    »Wen haben sie gefaßt? Ihn? Ha!«
    Und das Mädchen sah den Wachtmeister
bedauernd an wie einen Menschen, der nicht weiß, was er spricht, und die rechte
Seite ihrer Oberlippe hob sich verächtlich. (Überhaupt drückten die Bewegungen
dieser Oberlippe, die dann wie ein verkrampfter Blutegel aussah, ihre Gefühle
der Wut, der Verachtung oder des Trotzes aus, wenn diese Gefühle stärker wurden
als die Worte, über die sie verfügte. Dieses krampfhafte Zucken gab ihrem sonst
schönen und ebenmäßigen Gesicht einen Augenblick lang einen peinlichen und
unangenehmen Ausdruck.) Und mit völlig kindlichem und entrücktem
Gesichtsausdruck, der in krassem Gegensatz zu diesem unschönen Krampfen der
Oberlippe stand, blickte sie aus dem Fenster, wie ein Bauer auf seine Äcker
schaut, wenn er sich vom Einfluß des Wetters auf die Saat überzeugen will.
    »Was fällt euch ein! Eben dämmert
es. Von gestern abend bis jetzt könnte er um ganz Bosnien herumwandern und
nicht nur eine Grenze überschreiten, die eine oder zwei Stunden Weges von hier
verläuft. Ich weiß schon. Mich könnt ihr schlagen und erschlagen, dazu bin ich
auch mit ihm gegangen, aber ihn wer det ihr nicht wiedersehen. Daran braucht
ihr gar nicht zu denken. Ha!«
    Und ihre Oberlippe verkrampfte und
hob sich auf der rechten Seite, ihr ganzes Gesicht aber sah mit einem Male viel
älter, erfahren, frech und häßlich aus. Als sich aber diese Lippe schnell
wieder beruhigt und gesenkt hatte, da nahm ihr Gesicht wieder den kindlichen
Ausdruck einer lieblichen und unbewußten Kühnheit an.
    Draschenowitsch wußte nicht, was er
tun sollte, und sah den Rittmeister an, der ein Zeichen gab, das Mädchen wieder
hinauszuführen. Dann begann er wieder, Fedun zu verhören. Das konnte nicht
mehr lang oder schwierig sein. Der junge Bursche gestand alles und brachte es
nicht fertig, irgend etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen, nicht einmal
das, was ihm Draschenowitsch selbst in seinen Fragen absichtlich in den Mund
legen wollte. Auch die Worte des Rittmeisters, die zwar das unwiderrufliche
und unbarmherzige Urteil in seiner ganzen Schwere enthielten, aus denen aber
der verhaltene Schmerz über diese Schwere herausklang, konnten den jungen
Burschen nicht aus seiner Lähmung lösen.
    »Fedun«, sagte Kretschmar auf
deutsch, »ich habe Sie für einen ernsten jungen Mann gehalten, der seine
Pflicht und seine Lebensziele kennt, und ich habe geglaubt, daß aus Ihnen
eines Tages ein ausgezeichneter Soldat, eine Zierde unserer Abteilung würde.
Aber Sie vernarren sich in das erste Weibsstück, das Ihnen an der Nase
vorbeigelaufen ist. Sie haben sich wie ein Schwächling benommen, wie ein
Mensch, dem man eine ernste Aufgabe nicht anvertrauen kann. Ich muß Sie dem
Gericht übergeben. Aber wie dessen Urteil auch immer ausfallen mag, die größte
Strafe für Sie ist, daß Sie sich des Vertrauens nicht würdig erwiesen haben,
das man in Sie setzte, und daß Sie es im rechten Augenblick nicht
fertigbrachten, als Mann und als Soldat auf Ihrem Platz zu bleiben. Gehen Sie
jetzt.«
    Nicht einmal diese Worte, schwer,
abgehackt, skandiert, konnten dem jungen Burschen irgend etwas Neues zu
Bewußtsein bringen. Alles dies war schon in ihm. Das Auftauchen und die Sprache
dieser Frau, des Hajdukenliebchens, Stewans Verhalten und der ganze Verlauf der
kurzen Untersuchung zeigten ihm mit einem Male sein leichtsinniges, harmloses
und unverzeihliches Frühlingsspiel auf der Kapija im wahren Lichte. Die Worte
des Rittmeisters waren nur das amtliche Siegel dazu; eher als Fedun brauchte
sie auch der Rittmeister selbst, um irgendeiner ungeschriebenen, aber uralten
Forderung von Gesetz und Ordnung zu genügen. Wie vor einem Schauspiel ungeahnter
Größe stand der junge Bursche vor der unfaßbaren Erkenntnis, was einige
Augenblicke des Sichvergessens, zu böser Stunde und an gefährlicher Stelle
erlebt, bedeuten können. Wären sie vergangen und dort auf der Kapija unbekannt
geblieben, dann hätten diese Augenblicke nichts bedeutet. Einer jener Jugendstreiche,
die man später unter Kameraden auf langweiligen, nächtlichen Patrouillen
erzählt. So aber, auf Grund konkreter Verantwortlichkeit, bedeuteten sie alles.
Sie bedeuteten mehr als den Tod: das Ende für alles und dazu ein unerwünschtes
und unwürdiges Ende. Niemals wieder eine volle und ehrliche Rechtfertigung,
weder vor sich noch vor

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