Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)
brauchten wir eine ziemlich große Erklärung.« Lily bemerkte, dass entlang der gesamten Absperrung Wachleute postiert waren. Und dahinter, näher zu Forbes, gab es eine zweite Staffel. »Das Wichtigste bei der ganzen Sache ist die Eindämmung.« Er zeigte einem der Sicherheitsleute seinen Ausweis. »Sie gehört zu mir.«
Der Wachmann winkte sie durch.
»Passiert so was oft?«, wollte Lily wissen und verrenkte sich den Hals, um mehr zu sehen.
»Normalerweise halten die Feeder sich so weit wie möglich von Princeton fern, vor allem während der Absolvententreffen, wenn so viele Ritter vor Ort sind.«
»Und was ist mit dem neuen Anführer, den du vorhin erwähnt hast?«
»Du solltest dir seinetwegen keine Sorgen machen. Mein Großvater persönlich hat es übernommen, ihn zur Strecke zu bringen«, erklärte Jake. »Und Versagen toleriert er nicht. Der neue Anführer ist so gut wie tot, vor allem, wenn er sich wirklich hierher getraut hat.«
»Oh.« Lily dachte an den Kobold und fragte sich, was Tye wohl dazu sagen würde.
Nachdem sie sich ihren Weg durch die Polizeiautos gebahnt hatten, konnte Lily das Studentenwohnheim zum ersten Mal richtig sehen. Forbes war ein ausgedehnter Flachbau und wirkte eher wie ein Golfclub als wie ein Schlachtfeld. Jake zog sie hinter sich her um die Schmalseite des Gebäudes. »Wir haben uns dem Feind hinter dem Gebäude gestellt, auf dem Golfplatz.«
»Es gibt einen Golfplatz?«
Lily verstummte, als er die Hand hob und um die Hausecke sah. Dann ging er langsam weiter und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Vergnügt fuhr er fort: »Oh ja, Forbes war mal ein Hotel. Darum sind hier während der Absolvententreffen immer die ältesten Alumni untergebracht. Viele der Zimmer verfügen nämlich über ein eigenes Bad.«
»Wie nett«, erwiderte Lily. Sie war sich nicht sicher, ob das hier die geeignete Zeit und der geeignete Ort waren, um über Badezimmer zu plaudern.
Geduckt folgte sie Jake über die Wiese zu einem kleinen Wäldchen. Als er den ersten Baum erreichte, zog er sein Messer. Es funkelte hell, sogar hier in den Schatten. »Die Zuteilung der Schlafräume an die Studenten wird ausgelost«, erklärte er weiter, »doch ab und an helfen die Ritter ein wenig nach, um sicherzustellen, dass man einen Zimmergenossen bekommt, der in den wahren Zweck von Princeton eingeweiht ist.«
»Und worin genau besteht der ›wahre Zweck von Princeton‹?«, fragte Lily.
»Die künftigen Führer unserer Welt auszubilden«, gab Jake zurück. »Und außerdem: die Welt zu schützen vor denen da«. Er deutete auf den Golfplatz.
Das Erste, was Lily sah, war ein Bilderbuch-Sonnenuntergang. Der Himmel war rosenrot, durchsetzt mit Wolken, die bereits die Farbe von dunklem Meerblau angenommen hatten. Der Golfplatz darunter lag schon in dunkler Dämmerung. Doch dort, ungefähr in der Mitte, umkreisten sich Schatten, wichen einander aus und fanden wieder zusammen wie in einem kunstvollen Tanz. Lily machte einige Umrisse aus: einen Mann, eine Frau, eine Gestalt mit Engelsflügeln, eine andere mit zuckenden Tentakeln, einen Löwen mit einem Frauenkopf … Einer der dunklen Schattenrisse sah sogar aus wie ein Einhorn. Die Schatten verschwammen, flossen ineinander, trennten sich wieder. Gesichter konnte sie keine erkennen.
»Bleib hier«, befahl Jake. »Versteck dich zwischen den Bäumen.« Dann robbte er, das Messer in der Hand, über den Rasen und sprang über einen Zaun. Weg war er. Vermutlich fiel der Hügel zum Golfplatz hin ab.
Jakes Anweisung folgend, ging Lily tiefer in das Wäldchen hinein. Blätter streiften sanft ihre Arme, Zweige fuhren ihr durchs Haar. Das Summen ihrer klanglosen Melodien ließ ihre Knochen vibrieren. Zwischen den Baumstämmen hindurch spähte sie auf den Golfplatz hinunter und versuchte, sich einen Reim auf die tanzenden Schatten zu machen. Jake konnte sie noch nicht sehen. Und Grandpa auch nicht.
Plötzlich schlug das Summen in ein durchdringendes Kreischen um. Lily hielt sich die Ohren zu. »Hört auf«, zischte sie die Bäume an.
Ein Drei-Meter-Mann mit grauer Haut flankte über den Zaun und kam auf sie zugerast. Lily schrie laut auf vor Angst. Die Bäume fielen mit ihrem Kreischen ein. Dann tauchte Jake auf. Er schwang sich über den Zaun und warf sich, Messer in der Faust, auf den Rücken des Monsters. Seine Füße trafen die Kreatur mit voller Wucht zwischen die Schulterblätter, während er nach ihrem Hals ausholte. Das Wesen stürzte vornüber, dann blitzte mit
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