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Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Titel: Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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fallen meinem Alten Herrn die Augen zu. Wir bringen seinen Koffer ins Wohnzimmer und ihn selbst in sein altes, kaputtes Bett. «Wie viele Brötchen soll ich morgen früh holen?», fragt er noch. Aber bevor wir antworten können, dass es hier «Semmeln» heißt, schnarcht er schon wie eine verschnupfte Blasmusikkapelle nach dem Oktoberfest.

A MUSI
    (hochdeutsch: Eine Veranstaltung mit Musik)
    Auch wenn ich jetzt erwachsen bin, es fällt mir nicht leicht, wieder mit meinen Eltern zusammenzuwohnen. Nicht mal mit einem Elternteil. Denn mein Vater ist anscheinend nicht bereit, den Rollentausch zu beenden. Er schläft bis mittags, schaut demonstrativ weg, wenn Roni und ich uns küssen, oder betrinkt sich mit Arni in meiner Stammkneipe. Eigentlich wollten wir ihn ja Ronis Eltern vorstellen, aber in seinem Zustand würde er wahrscheinlich nur rumpöbeln oder schmollen.
    Paare kann er im Moment gar nicht gut ertragen. Wenn Roni und ich über unsere Hochzeit reden, wird er sogar richtig zickig. Wäre er fünfzig Jahre jünger, könnte man meinen, er käme in die Pubertät. Aber offenbar lebt er einfach nur seinen Liebeskummer aus.
    Ich finde, er könnte sich langsam mal wieder ins Leben stürzen, ins Theater gehen, zum Tanztee, zur rhythmischen Sportgymnastik oder irgendwoanders hin, wo er Frauen in seinem Alter kennenlernen kann. Aber davon will er nichts hören. Als Roni ihm versichert, andere Töchter hätten auch schöne Mütter, verzieht er sich bockig ins Wohnzimmer und dreht die düstersten Songs von Nick Cave aus meiner CD-Sammlung voll auf.
    Jetzt, zwei Wochen nach seiner Ankunft, hat er aufgehört, sich zu rasieren, und trägt nur noch meine schwarzen Kapuzenpullover von früher. All das hätte ich als Teenie bestimmt total cool gefunden. Jetzt nervt es. Denn Roni und ich müssen unsere Hochzeit hinter seinem Rücken vorbereiten, damit er nicht an seine Scheidung erinnert wird.
    Neulich rief der Priester an, um zu fragen, ob wir immer noch heiraten wollen. Anscheinend hoffte er, Roni habe es sich inzwischen anders überlegt. Mein Vater ging ans Telefon und fragte ihn, ob er glaube, dass meine Mutter ihn noch liebe. Als er ihm klar wurde, dass er einen Priester an der Strippe hatte, begann er die Beichte abzulegen. Stundenlang. Seitdem hat der Priester nicht wieder angerufen. Immerhin.
    Dennoch: Ich weiß langsam keinen Rat mehr. Ich habe sogar Oma um Hilfe gebeten. Die meinte, ich solle meinen Vater einfach ins Auto setzen und nach Hause schicken. Aber als ich ihn aus dem Wohnzimmer holen wollte, hat er von innen die Tür zugehalten.
    «Hoffentlich wirst du nicht eines Tages wie er», sagt Roni abends zu mir. Wir sitzen in der Küche, mein Vater liegt seit Stunden im Wohnzimmer auf dem Rücken und hört Gedichte von Jim Morrisson. Über Kopfhörer, weil wir ihm die Boxen weggenommen haben.
    «Und wenn?», entgegne ich spitz. Er mag sich wie ein pubertierender Teenie benehmen, aber er ist immer noch mein Vater. Und auf die Familie lasse ich nichts kommen.
    «Du musst dich halt nicht von mir scheiden lassen.»
    Roni erhebt die Stimme. «Hey, noch sind wir nicht verheiratet.»
    Wir schauen uns an und seufzen. Das kann so nicht weitergehen. Irgendwie müssen wir meinen Vater aus seiner düsteren Stimmung reißen. Aber wie?
    «Vielleicht sollten wir ihn doch mal mit Knoll bekannt machen?», schlägt Roni vor.
    «In seinem Zustand?»
    «Na ja, du warst auch durcheinander, als du nach Bayern gezogen bist. Ein bisschen Gemütlichkeit hat noch keinem geschadet, außerdem könnte dein Vater seine Fremdsprachenkenntnisse auffrischen. Und irgendwann müssen sich unsere Eltern eh kennenlernen.»
    Roni hat vermutlich recht. So kann es jedenfalls nicht weitergehen. Das Leben ist schließlich kein Wavekonzert.
    «Eigentlich sollten sich ja alle vier auf einmal kennenlernen …»
    Roni seufzt. «Nun sind deine Eltern aber nicht mehr zusammen. Außerdem ist morgen Abend die Karaoke-Party, und da können wir deinen Vater wohl schlecht allein zu Hause lassen.»
    Verdammt, insgeheim hatte ich gehofft, zu Hause bleiben zu können, mit dem Argument, ich müsse auf ihn aufpassen.
    «Und wenn er gar nicht in der Stimmung ist, deine Eltern zu treffen?», gebe ich zu bedenken.
    Aber er ist in der Stimmung. Also fahren wir am nächsten Tag gemeinsam nach Dumbling. Je weiter wir hinaus aufs Land kommen, umso besser wird seine Laune. Die grünen Weiden, die dicken Kühe und die langsamen Trecker scheinen ihn zu entspannen. Zum hundertsten Mal

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