Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Titel: Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
Vom Netzwerk:
losgelassen, wird das Licht gedimmt. Ich höre ein schnulziges Keyboard-Intro. Verdammt. Das klingt nicht nach 50 Cent. Viel zu langsam. Aber jetzt gibt es kein Zurück. Zum Glück habe ich genug Mai Thai intus. Was war das noch gleich für ein Song?
    Ein paar Typen haben ihn anscheinend erkannt und lachen heiser, einer ruft «Buuuh», ein paar Frauen machen «Schschscht!», woraufhin die Typen verstummen.
    Auf dem Monitor erscheinen Titel und Interpret:
Patrick Swayze
She’s like the wind.
    Na servus. Das ist der Song aus «Dirty Dancing»! Ein roter Balken kriecht auf die erste Textzeile zu. Himmel, das kriege ich nie hin. Ich schaue ins Publikum, sehe meinen Vater allein an der Theke stehen. Er nickt mir zu. Wahrscheinlich würde er alles für meine Mutter tun – jetzt, da er sie verloren hat. So weit lasse ich es nicht kommen. Ich räuspere mich ins Mikrophon, es übersteuert fiepend. Egal. Ich ziehe das jetzt durch. Ganz gleich, ob ich mich vor diesen coolen Leuten zum Deppen mache: Roni liebt dieses Lied. Und ich liebe Roni. Also schließe ich die Augen, damit ich die coolen Leute nicht sehen muss, und denke an Roni unter der Dusche. Meine Lippen öffnen sich fast von selbst:
She’s like the wind through my tree …
    Ich schaue wie von oben auf mich herab, sehe mich da auf der Bühne stehen, das Mikrophon im Ständer erst mit einer, dann mit beiden Händen umklammern, die Augen geschlossen. Ich spüre jede Nuance, jeden Funken Liebe und Schmerz, der in diesen Zeilen steckt. Es strömt aus mir heraus:
I feel her breath on my face
her body close to me
can’t look in her eyes
she’s out of my league.
Just a fool to believe
I have anything she needs.
She’s like the wind
    Irgendwann erwache ich aus meiner Trance, ich öffne die Augen und blicke in ein Meer aus Feuerzeugflammen. Alles sieht verschwommen aus, also wische ich mir erst mal die Tränen aus den Augen.
    Der Wirt ist auf die Bühne gekommen, er faltet die Hände auf thailändische Art vor dem Bauch und verbeugt sich vor mir. Dann nimmt er mir sanft das Mikrophon aus der Hand und schiebt mich zu Roni, die neben der Bühne steht.
    «O Waschtl», sagt sie mit zitternder Stimme. Ich nehme sie einfach mal in den Arm.
    An der Theke trinke ich ein stilles Wasser. Roni meint, dass Patrick Swayze oben im Himmel bestimmt stolz auf mich gewesen ist. Die ganze Bar hat anscheinend mit mir den Refrain gesungen, zwei Frauen hätten Roni gefragt, ob sie mich kenne, und sie habe denen stolz ihren Verlobungsring gezeigt. Ich atme auf, gerührt, beschämt.
    Mein Vater klopft mir auf die Schulter und meint, nach dieser Darbietung dürfe ich im Tiefenwalder Gospelchor sogar das Weihnachtssolo singen. Aber das lehne ich dankend ab. Das Einzige, was ich jetzt noch will, ist nach Hause. Mit Roni. Mein Vater bleibt noch ein bisschen, er hat im Katalog ein paar Rolling-Stones-Hits entdeckt und will nachschauen, ob sich nicht auch noch ein paar Spirituals finden lassen.
    Nachdem wir uns von ihm verabschiedet haben, nimmt mich Roni endlich an der Hand und führt mich zum Ausgang. In der Tür höre ich noch, wie jemand an «In da club» scheitert, weil Rappen halt doch nicht so einfach ist.

MIM WIND IS LEICHT BLOSN UND GEGAN WIND IS SCHLECHT BRUNZN
    (hochdeutsch: Mit dem Strom zu schwimmen, ist nicht so anstrengend)
    Mein Vater hat sich akklimatisiert. Inzwischen dröhnt statt Nick Cave nur noch Blasmusik aus dem Wohnzimmer. Er hat aufgehört meine Kapuzenpullover zu tragen, sich ein paar Hemden gekauft und will sich nun nach Senioren-WGs und Laienorchestern umsehen. Das erste Angebot kommt, ziemlich überraschend, von Knoll. Alfons, der Tubaspieler seiner Blaskapelle, hat, weil sein persönlicher Maßkrug unauffindbar war, aus dem eines Fremden getrunken und davon «Ruafschmarrn» bekommen, eine Art Trachtlerherpes. Deshalb kann er jetzt nicht mehr Tuba spielen. «Hechst a Triangel – und die brauchma ned.» Was Die Obrigkeit jetzt braucht, ist ein neuer Tubaspieler.
    Doch wie in ganz Bayern hat die Blasmusik auch in Dumbling ein Nachwuchs-und Wegsterbproblem: Da der zugehörige Lebensstil zumindest in puncto Alkohol und Anzahl der gespielten Konzerte dem Rock ’n’ Roll in nichts nachsteht, geht so ein Musikantendasein ganz schön an die Leber. Deshalb sind unverbrauchte Musiker in Bayern gern gesehen – selbst wenn sie so seltsam Bairisch sprechen wie mein Vater.
    «Wos zeiht, is die Eistellung», meint Knoll, der uns zum Grillen nach Dumbling eingeladen hat. Er schaut

Weitere Kostenlose Bücher