Jack Fleming 02 - Blutjagd
Stellfläche ein. Der Page hatte mich schon mehrfach gefragt, ob ich den Koffer nicht im Keller einlagern wollte. Ich gab ihm gute Trinkgelder, also war er stets bestrebt, mir einen Gefallen zu erweisen. Ein Keller war zum Vermeiden des Sonnenlichtes vielleicht besser geeignet, aber nicht sicher genug. Tagsüber hängte ich immer ein ›Bitte nicht stören‹-Schild an den Knauf und hielt die Tür fest gegen neugierige Blicke verschlossen. Der Koffer war ebenfalls abgeschlossen, und den Schlüssel hatte ich mir an einer Kette um den Hals gehängt. Als ich einmal zu spät zurück kam, hatte mich die Sonne erwischt. Ich hatte nicht wie sonst in meine Bettstatt hineinsickern können und durchlebte schmerzhafte und von Panik erfüllte Minuten auf der Suche nach dem Schlüssel. Diese Erfahrung gedachte ich nicht zu wiederholen.
Ich ließ mir ein heißes Bad ein, wusch mir den verbliebenen Schnapsgeruch aus dem Haar und versuchte es mir auf dem durchgelegenen Bett bequem zu machen. Der Page hatte meinen täglichen Zeitungsstapel vor der Tür abgelegt. Die restliche Zeit vor dem Morgengrauen verbrachte ich damit, ihn durchzublättern. Keine der Nachrichten vermochte mich zu fesseln, und das war seltsam, denn früher waren sie mein Ein und Alles gewesen. Die Zeiten ändern sich, die Menschen ändern sich, und ich hatte mich sicherlich mehr als die meisten anderen verändert.
Mein Blick huschte automatisch über die Privatanzeigen, aber da war wie immer nichts zu finden. Fünf Jahre waren verstrichen, ohne dass eine Antwort gekommen war.
Die Zeitungen wanderten in den Papierkorb. Ich dachte an Bobbi, und mit einem stechenden Schuldgefühl dachte ich an Maureen.
Ich dachte wieder an die Berührung ihres Körpers, kleiner und stärker, mit dunklem Haar und hellblauen Augen. Ich dachte an die langen Nächte, in denen wir uns geliebt und gehofft hatten, dass es immer so sein würde. Gemeinsam beschlossen wir, es zumindest zu versuchen. Ich hatte keine Gewissheit, dass es bei mir klappen würde, aber die Hoffnung bestand, und sie musste genügen. Nachdem sie von mir getrunken hatte, legte sie den Kopf in den Nacken, ihre Haut spannte sich, und mit einer raschen Bewegung zog sie ihren Fingernagel über die Ader an ihrer Kehle. Sie zog mich an sich, und ich schmeckte die Wärme des Blutes, das einst mir gehört hatte, durch ihren Körper verwandelt worden war und mir nun wiedergegeben wurde. Die rote Hitze stieg in mir auf wie der Glutatem aus einem geöffneten Schmelzofen. Ein feuriger Schock, ein inneres Aufblitzen und dann das Leuchten ihres Lebens, das mich ausfüllte ...
Meine Hände verkrampften sich. In der Erinnerung an frühere Leidenschaften lag kein Trost. Alles war fort. Maureen war fort.
Aber Bobbi war hier, lebendig und voller Liebe. Ich wollte und brauchte sie ebenso sehr. Es war ihr gegenüber kaum fair, wenn ich in den falschen Momenten an Maureen dachte, und es war auch nicht fair gegen mich selbst.
Ich holte mir einen Zettel und schrieb einige Anweisungen auf. Dafür brauchte ich weniger als zwei Minuten und danach in der Lobby drei weitere, in denen ich dem Nachtportier meine Wünsche erläuterte. Er versprach alles Notwendige zu veranlassen. Eine Minute für jedes Jahr der Suche und des Wartens, und so lange brauchte ich, um meine letzte Hoffnung, mit ihr in Verbindung zu treten, fahren zu lassen. Ich fühlte mich leer, aber es war nicht schlimmer als sonst auch. Wenn mir Bobbi dabei half, konnte ich die Erinnerungen endgültig hinter mir lassen. Es war Zeit, die Vergangenheit zu begraben. Sie musste zur Ruhe finden, oder sie würde mir weiter mein Innerstes zerreißen.
Sie musste zur Ruhe finden, denn Gott weiß: Ich war müde.
»Mister Fleming?« Die Stimme des Pagen klang leicht besorgt. Er klopfte an die Tür. »Mister Fleming?«
Für mich gab es keinen benommenen Übergang ins Bewusstsein; entweder war ich zur Gänze wach oder völlig bewusstlos. Ich schwebte aus dem Koffer heraus, matrialisierte mich davor neu, öffnete die Tür und versuchte verschlafen zu wirken.
»Ja, was gibt's, Todd?«
»Tut mir Leid, dass ich Sie wecke, aber da hat jemand angerufen, und der Bursche sagte, es is' dringend. Er hat schon den ganzen Tag lang angerufen. Sie gaben keine Antwort, also dachten wir, Sie seien ausgegangen.« Er reichte mir einen zusammengefalteten Zettel.
Ich faltete ihn auseinander. Escotts Name und die Nummer seines kleinen Büros ein paar Straßen weiter standen darauf. Er wollte, dass ich
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