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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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scheußlichen Anemo-
    nen bedeckt; wenn wir darauf traten, färbten sie uns, daß es aussah, als wären unsere Füße in blutigen Fetzen. Einmal rutschte der Kapitän auf einem Klumpen
    dieser Dinger aus und wäre fast gefallen.
    »Schlecht geurteilt, wie? Und vielleicht nicht zum
    ersten Mal!« lachte Mister Trumpet erfreut, als hätte er etwas Witziges gesagt, aber der Kapitän war zu beschäftigt, um zu antworten.
    Endlich konnten wir von den Felsen hinunterstei-
    gen und im Wasser stehen, das uns nicht einmal bis
    an die Knie reichte. Wir waren dem Meer entronnen.
    Zusammen drehten wir uns um und sahen zurück auf
    das Doppelwrack. Wir sahen, wie das Meer, das leise heraufgekrochen war, die Esperance allmählich auf
    die Seite legte; dann fiel sie mit einem splitternden, knirschenden Seufzer auf die Überreste der Charming Molly.
    Das war also ihr letzter Augenblick, unter einer
    heißen Sonne auf einem stillen Meer. Mit der Espe-
    rance dauerte es nur ein paar Minuten länger. Sie
    wurde von dem Riff wieder flott, füllte sich schnell mit Wasser und sank, als sei sie froh darüber.
    Langsam schleppten wir unsere schmerzenden Fü-
    ße weg vom Meer und betrachteten das Land, zu dem
    wir gekommen waren. Keiner von uns sprach, denn
    es herrschte ein ungeheures Schweigen um die weite, weiße Bucht, das sich auch uns mitzuteilen schien.
    Eine Sonne, zehnmal wilder und mächtiger als ich
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    je erlebt hatte, stand unmittelbar über dem Wald, so daß es auch jetzt noch unmöglich war, seine Größe
    zu ahnen. Die belaubten Baumwipfel waren in zie-
    hende Dunstschleier gehüllt, und die ganze dunkle
    Fläche schien still zu atmen … Sie erstreckte sich
    vielleicht fünf Meilen weit, vielleicht fünfhundert.
    Man konnte es vorläufig nicht wissen. Wir konnten
    nichts tun, als über den sengenden Sand zu stapfen
    zum seligen Trost seines Schattens. Als er kam, fiel er auf uns mit einer plötzlichen Kühle und ließ uns frösteln …
    Mister Morris allein blieb in der Hitze, machte Be-
    obachtung auf Beobachtung mit seinem Sextanten
    und schrieb mit dem am oberen Ende goldverzierten
    Stock des Kapitäns Ziffern in den Sand.
    »Was für eine gottverlassene Insel ist das?« rief
    Mister Trumpet. »Wo sind wir, Mister Segelmeister?
    Wie weit von London, und wie kommt man zurück?«
    Mister Morris fuhr fort mit seinen Beobachtungen.
    »Wenn wir unseren Kurs nach Südosten nehmen«,
    sagte er zum Kapitän, »sollten wir etwa zwölf Meilen von hier den Gipfel eines Vorgebirges erreichen.«
    »Verrückt!« unterbrach Mister Trumpet abwei-
    send. »Verrückt. Warum durch den Wald, wenn wir
    nichts zu tun brauchen, als an der Küste entlang zu gehen, bis wir zu einem Hafen kommen? Ich stimme
    für den Küstenweg. Was sagst du, Jack? Denke dar-
    an, alter Freund, hier auf unbekanntem Land sind
    wir alle gleich.«
    »Laß den Jungen in Ruhe, Trumpet. Zwinge ihm
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    keine Entscheidungen auf. Was kann er von diesem
    Land wissen – oder von dir und mir?«
    »Oh, bitte um Entschuldigung. Wußte nicht, daß
    er ein Mündel des Gerichts war.«
    »Geh an der Küste entlang, und du wirst in der
    Sonne rösten«, sagte Mister Morris müde. »Was
    mich betrifft, ich würde dich nicht aufhalten. Aber laß den Jungen in Ruhe. Komm, Mann, sei vernünftig. Hier sind wir höchstwahrscheinlich an die West-küste von Afrika verschlagen –«
    »– oder die Westküste Westindiens, oder die West-
    küste Chinas«, höhnte Mister Trumpet.
    »Und unser bester Plan«, fuhr Mister Morris fort,
    als hätte Trumpet gar nicht gesprochen, »wäre, zur
    Orientierung eine hochgelegene Stelle zu suchen, um die Lage des Landes – und die Linie der Küste – zu
    erkunden. Besser zwanzig Meilen mit der Aussicht,
    daß sie ein Ende nehmen als vielleicht zweihundert
    für nichts. Vielleicht hat ein Fluß dort seine Quelle«, er deutete in südöstlicher Richtung nach oben, »und wir können ihm bis zum Meer folgen. Denn wenn es
    einen Hafen, von welcher Größe auch immer, gibt,
    dann ist kein Platz dafür wahrscheinlicher.«
    Zwanzig Meilen. Das Schweigen senkte sich wie-
    der über uns, als wir in die Düsternis starrten, an deren äußerstem Schatten wir uns befanden. Wie lange
    würden wir dafür brauchen? Wie viele Meilen konn-
    ten wir am Tag rechnen? Der Boden war dicht mit
    gewundenen Wurzeln bedeckt, die stark waren wie
    ein Männerbein. Zudem konnte man Schlamm sehen,
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    Schlamm, der Obacht vor einem Sumpf gebot. Das
    war wenigstens sichtbar. Was

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