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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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ergriffen – und im Sturm wieder hatte fahrenlassen: die des unglückseligen Mister Pobjoy …
    »Nicht mit Gewalt«, keuchte der Kapitän. »Sachte
    … sachte … Ein bißchen auf einmal …«
    »Langsam … langsam …« wisperte Mister Morris,
    als hätte ein Schrei uns so erschrecken können, daß wir ihn losließen.
    Bißchen um bißchen kam er auf uns zu, denn die
    Kräfte des Sumpfes, die ihn hielten, wichen lieber der Überredung als wildem Zerren. Endlich geriet er an
    die Seite des Stammes, und auf dessen sicherer, ab-
    gewandter Seite holten wir ihn heraus – von Kopf bis Fuß mit Schlick bedeckt.
    Er konnte weder gehen noch stehen, so wie er war,
    denn er war zu schwer, daher rieben wir ihn, so gut wir konnten, mit Zweigen und Blättern sauber und
    entfernten mehr als ein Dutzend Blutegel von seiner nackten Haut. Danach konnte er sich dann selbst reinigen, als wir zu einem Tümpel mit sauberem Wasser
    kamen.
    Aber noch davor, selbst als der Schlick noch klum-
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    penweise an ihm haftete und er noch seine Egel trug wie Knöpfe, fischte und fummelte er nach seinen Juwelen. Die Weiße Lady war noch bei ihm, obwohl
    der Tod die beiden beinahe geschieden hätte.
    »Du wärst dafür gestorben«, sagte der Kapitän.
    »Und hättest es beinahe auch getan.«
    »Und Sie hätten dafür getötet«, erwiderte Mister
    Trumpet, indem sein Mund plötzlich eine Blume in
    seinem überkrusteten Gesicht formte. »Und hätten’s
    auch beinahe getan.«
    Obwohl das ganz offenbar nicht stimmte – denn
    wenn Mister Trumpet im Sumpf versunken wäre,
    wäre der Stein mit ihm versunken – und die Bemer-
    kung von einem Mann kam, der zu mitgenommen
    war, um zu denken, sagte der Kapitän kein Wort zu
    Mister Trumpets Beschuldigung.
    Nach diesem betrug sich Mister Trumpet sehr zu-
    versichtlich, besonders, wenn man bedachte, daß er
    glaubte, fast einem Mordanschlag zum Opfer gefallen zu sein. Vielleicht vermeinte er sich jetzt besser gesichert, nachdem der Anschlag versucht worden und
    fehlgeschlagen war?
    Für mich, der ich nicht weniger gesehen hatte als
    die anderen, blieb das völlig unverständlich. Denn
    obwohl es möglich war, daß der Kapitän Mister
    Trumpet gestoßen oder hatte stolpern lassen, als er sprang, war nicht zu bezweifeln, daß er sich gemüht hatte, ihn zu retten: er hatte sogar seine alte Wunde so strapaziert, daß sie wieder ein wenig blutete.

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    Am nächsten Tag kamen wir Gott sei Dank über den
    Sumpf und auf festen Boden. Aber sonst gab es wenig genug, wofür man dankbar sein konnte. Selbst jetzt, wenn ich allein in der Nacht in einer engen Straße
    mit hohen Häusern bin und die Bohlen knarren und
    ungesehene Leute sich in den verdunkelten Gebäuden
    bewegen, fühle ich mich in dieses unendliche brüten-de Dämmerlicht versetzt und gehe … gehe … gehe …
    Und Mister Trumpet – »Wer ist da? Was ist das? Es
    hat sich bewegt! Seht! Seht!«
    »Ruhig, Mensch«, warf ihm Mister Morris entge-
    gen, denn er hatte keine Vorahnung von dem, was
    drohte. Er war mit seinem Kompaß beschäftigt und
    setzte unseren Kurs auf Ost-Südost.
    »Du bist verrückt, Morris! Verrückt!« Mister
    Trumpet schäumte weiter: »Wir hätten an der Kü-
    ste gehen sollen. Was für einen Tanz du uns hier
    aufführst. Einen Morris-Tanz, wie? Ha-ha!«
    Dann am späten Nachmittag wurde es offenbar,
    daß es mit Mister Trumpet nicht zum besten stand.
    Nachdem er sich über den geduldigen, kleinen Mei-
    ster beklagt hatte, den Spezialfeind seiner wilden
    Ausfälle, begann er sich über Kälte zu beklagen, wo keine war. Furchtbare Schmerzen schossen ihm durch
    den Kopf und benahmen ihm die Sinne. Er keuchte.
    Dann kamen sie wieder, und er mußte vor dem Grün
    die Augen schließen, weil es ihn blendete. Deshalb
    konnte er nicht die ganze Zeit sehen und war in Ge-
    fahr, den Anschluß an uns zu verlieren und vielleicht zum Sumpf zurückzugehen. Denn er hatte im Innern
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    etwas vom Sumpf mitgenommen – und das versuchte,
    ihn zurückzuholen. Mister Trumpet hatte sich ein
    Sumpffieber zugezogen.
    Jetzt begann er die ganze Zeit mit einer fistelnden, winselnden Stimme zu lamentieren, die ein Hohn auf
    seine gewöhnliche Stimme war. Was er sagte, war
    keinem außer ihm verständlich, und er verstummte
    zuweilen, um dem Widerhall seiner eigenen, sich
    überstürzenden Worte zuzuhören.
    Wir konnten nicht weitergehen. Mister Trumpet
    mußte Halt machen. Ein Blätterhaufen würde ein
    weiches Bett für ihn abgeben.
    »Hier«, sagte

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