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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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lag dahinter?
    Mister Trumpet runzelte nervös die Stirn und be-
    fühlte seinen Reichtum. Komme was wolle, er war
    mit der Weißen Lady verheiratet, bis der Tod sie
    schied. Mister Morris hatte dem Wald den Rücken
    zugekehrt und starrte wie zum letzten Mal auf das
    Meer, das seine rechtmäßige und angestammte Hei-
    mat war.
    »Ich mache dich verantwortlich, Morris!« rief Mi-
    ster Trumpet schließlich aus. »Ich rufe euch alle zum Zeugen an, daß ich gegen den Wald war. Bevor es zu
    spät ist, überlegt’s noch mal! Zwanzig Meilen durch das ! Wer weiß, was für mörderische Bestien da drinnen lauern? Seht ihr! Da gibt es auch Sümpfe! Wißt
    ihr, was das heißt? Fieber! Wie sind wir in der Lage, Fieber zu bekämpfen? Und Schlangen! Meinetwegen!
    Nehmen wir an, wir entgehen dem Fieber und den
    Reptilien – was dann? Wie steht’s mit den Wilden,
    die diese Gegenden unsicher machen? Zum letzten
    Mal bitte ich euch, laßt den Wald. Geht an der Küste entlang.«
    »Morris«, sagte der Kapitän nach einer Pause, in
    der Mister Trumpets Worte erwogen wurden, »du
    hast gehört, was der gute Mann da sagt. Erschüttert das deine Meinung?«
    »Nein. Selbstverständlich gibt es Gefahren im
    Wald. Vielleicht, wie er sagt, große Gefahren. Ich ha-be dagegen nicht die Augen verschlossen. Aber an der Küste lauert der Tod. Der sichere Tod. Wir würden
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    nicht länger als fünf Stunden am Leben bleiben. Un-
    ter einer solchen Sonne habe ich Männer gesehen, die zu schwarzen Skeletten versengt waren.«
    Also mußte es der Wald sein: der dunkle und ge-
    fahrvolle Wald. Das war der Kurs für vier reiche
    Männer.
    XI
    Fünfzehn Tage lang plackten, bluteten, weinten und
    wüteten wir uns der Landzunge von Mister Morris
    entgegen; in dieser Zeit erlitten wir zwei furchtbare Verluste, und nicht nur das … wir gingen bei Tag,
    der nicht mehr war als eine unendliche grüne Däm-
    merung; dann, wenn der jahreszeitliche Regen wie
    Schrotkörner auf das hohe Dach des Waldes trom-
    melte, schliefen wir zwischen den Wurzeln. Manch-
    mal leerten sich Blätter, die von Wasser zu schwer
    wurden, wie Becher, und ein Katarakt stürzte wie ein silbernes Senkblei durch die grün-schwarze Luft.
    Wenn wir seiner habhaft wurden, diente er uns zum
    Trinken, denn das Wasser im Sumpf war giftig. Hin-
    ter dem Sumpf war der Waldboden ganz von wei-
    chem Laub bedeckt, das sehr zum Schlafen einlud,
    aber das taten wir nie. Einmal als ich – aber das muß ich an seiner Stelle erzählen, weil es Folgen hatte.
    Wir begannen unseren Marsch fast um Mittag, als
    die Schatten sich verkürzt hatten und das Meerwasser auf uns getrocknet war, wodurch sich weiße Salzflek-108
    ken auf unseren Gesichtern und Armen bildeten, als
    seien wir von Aussatz befallen.
    Unser Kurs war gesteckt und so etwas wie eine
    Lichtung wurde gefunden. Und zwar, nachdem wir
    zum Mittag einige grüne, nach Holz schmeckende
    Früchte gegessen hatten, die Mister Morris als »Seemanns Retter« kannte. »Mörder« wäre nach Mei-
    nung von Mister Trumpet ein besserer Name gewe-
    sen, denn die quälenden Schmerzen, die sie ihm ver-
    ursachten, würden noch sein Tod sein, sagte er. Ge-
    gen Mittag dieses Tages also sahen wir zum letzten
    Mal Sonne, Meer und Himmel – und betraten den
    großen Wald.
    Mister Morris übernahm die Führung, sehr behut-
    sam – denn die furchtbare Gefahr des Sumpfes be-
    gann, wo die Sonne uns verließ: graubraun und in
    dicken Schwaden dampfend, lüstern mit Wurzeln und
    fest aussehendem Boden, der bei der leisesten Berührung ächzte und blubberte. Weder Land noch See
    war dieser Teil des Waldes, sondern eine Art unfertiger Gedanke im Geist der Welt.
    Etwa eine Stunde lang folgten wir einem schmalen,
    festen Pfad über den Morast: einem Pfad, der ir-
    gendwie für uns markiert zu sein schien. Wenn sich
    der Pfad zu spalten schien, fand man immer zerbro-
    chene Stöckchen oder Zweige, die den sicheren Weg
    anzeigten. Es war, als folgten wir in den Fußstapfen eines sehr trittsicheren Lebewesens …
    Bald darauf wurde der Pfad wilder und der dichte
    Schlamm dünner und wäßriger, bis er zeitweise war
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    wie ein warmer, stinkender See. Hier gab es auch
    dolchschnäblige Vögel mit buntem Gefieder, die in
    den zerzausten Büschen jagten, denn es waren Fische in diesem Teil des Sumpfes – und Fliegen, Fieberflie-gen, ein wippendes Netz …
    Mister Morris hielt an. Der feste Boden war spärli-
    cher geworden. Links von uns war ein yardbreiter
    Streifen

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