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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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ich, »legt ihn hierher.«
    Ich stocherte mit meinem nackten Fuß – und weck-
    te eine schlafende Schlange. Widerliches, ängstliches, kleines sich wiegendes Ding. Hoch kam ihr abgeplat-teter grüner Kopf – den Mister Morris ihr abschoß.
    »Bist du gebissen? Bist du gebissen?« riefen der
    Kapitän und Mister Morris aus einem Munde und
    rannten zu mir her. Nein, ich war nicht gebissen. Au-
    ßer Dornkratzern und Dreck war an meinem Fuß
    nichts zu entdecken. Trotzdem war ich furchtbar er-
    schreckt.
    Aber all das – ich meine, von meiner Furcht wegen
    der Schlange – hätte ich gar nicht erzählt, wenn es nicht Folgen gehabt hätte. Denn als der Kapitän Gott für die Zielsicherheit von Mister Morris dankte, war Mister Trumpet unbeobachtet geblieben.
    »Lord Sheringham«, ertönte plötzlich seine hohe
    Stimme. »Sehen Sie mal! Sehen Sie!«
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    Ich kann nicht beschreiben, wie sonderbar sich
    der Name des großen Richters so deutlich an die-
    sem weit entlegenen, unheilbrütenden Ort aus-
    nahm. So klar erscholl das »Lord Sheringham«,
    daß man sich in seinem strengen Gericht wähnen
    konnte, das mit Unschuld und Schuld vollgepackt
    war.
    Warum Lord Sheringham? Hatte ihn der delirie-
    rende Mister Trumpet im Schatten gesehen, mit Pe-
    rücke und Duftwasser und bereit, ein weithallendes
    Urteil zu sprechen?
    »Hängen Sie einen Mann damit! Ha-ha!«
    Der verrückte Kerl hatte sich irgendwie der zer-
    schmetterten Schlange bemächtigt und hielt sie hoch wie eine Henkersschlinge. Seine Augen rollten, der
    Schweiß strömte und tropfte ihm vom Bart, als er auf seinen Erzfeind, den Kapitän, zuwankte.
    »Sehen Sie, Lord Sheringham. Fröhliche Erinne-
    rungen, wie?«
    Mister Morris trat vor, um ihn zu ergreifen, aber
    Mister Trumpet tanzte beiseite.
    »Du fängst mich nicht in deinem Morris-Tanz.
    Niemals mehr. Oh, du fängst mich nicht wieder …
    Und fahr’ ich tausend Meilen oder mehr … « Er begann zu singen, hielt dann inne und machte einen
    schnellen Ausfall, um seine Schlinge um den Hals des Kapitäns zu legen. Der Kapitän wehrte ihn ab, aber
    sanft. Jetzt ging er auf mich los, und ich trat zurück.
    Drum warf er die tote Schlange hinter sich und
    wandte beim Sprechen den Kopf zur Seite, damit ich
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    nicht von seinem Auswurf oder einer giftigen Anstek-kung getroffen würde.
    »Ich habe ein Fieber, Jack, ein tödliches Fieber. Ich weiß es. Ich bin in den Sumpf gefallen. Weißt du,
    wann? Als er mich berührte. Als Lord Sheringham sei-ne giftige Hand auf meine legte. Ich hatte eine Wunde an jener Hand, deshalb weiß ich es. Er will mich töten, Jack, weil ich weiß, wer er ist. Aber jetzt weißt du’s auch. Jetzt weißt du, wer seine Blinde Lady ist – die Blinde Lady mit der Waage und dem Schwert: Lady
    Gerechtigkeit. Hast du geglaubt, sie sei mit meiner Weißen Lady verwandt? Mir schien, du hättest dich
    gefragt. Ha-ha! Nun, in dieser Welt sind sie vielleicht verschwistert. Kraft Gesetzes! He-he! Aber jetzt wißt ihr’s alle, deshalb muß er euch alle töten. Hütet euch also vor seiner Berührung. Hütet euch vor Lord Sheringhams Berührung. Der Richter ist der Böse!«
    »Er ist toll.«
    Mister Morris sprach sehr ruhig. »Wie ein Hund.«
    »Morris! Was tust du?«
    Mister Morris prüfte seine Pistole – die einst Mister Trumpet gehört hatte, in den Tagen der Esperance.
    Er sah sie sich gelassen an und vergewisserte sich, daß die Ladung im zweiten Lauf intakt war. Er kniete nieder, wo Mister Trumpet, sich den Kopf haltend, zu-
    sammengebrochen war. Jetzt setzte Mister Morris den Pistolenlauf an Mister Trumpets Schläfe, nachdem er erst vorsichtig dessen Finger davon gelöst hatte.
    »Ich will ihm eine Kugel durch das kranke Hirn
    schießen. Wie einem Hund. Jack, dreh dich um.«
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    »Morris! Halt ein!«
    Ich weiß nicht, ob Mister Morris Mister Trumpet
    in dem Moment erschossen – in der Hitze, oder eher
    Kühle, des Augenblicks – und damit ihm und dem,
    was er wußte, ein Ende bereitet hätte, wenn der Kapi-tän die Pistole nicht mit seinem Stock weggedrückt
    hätte. Er riskierte viel damit. Die Bewegung hätte den Schuß auslösen können, aber er verließ sich auf die Autorität in seiner Stimme, die Mister Morris’ Finger vom Abzug wegziehen sollte.
    Mister Morris blickte hoch. Er strich mit der Hand
    am Pistolenlauf entlang, als hätte der Stock ein Zeichen darauf hinterlassen. Er konnte absichtliche Beschädigung nicht ausstehen, an nichts.
    »Sie müssen Lord Sheringham sehr

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