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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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immer dem Fluß nach. Vielleicht
    ein Floß bauen? Aber lieber am Ufer entlanggehen.
    Mittag etwa zwei oder drei Stunden Unterschlupf su-
    chen, wenn die Sonne am heißesten war …
    »Um Gottes willen, lauft nicht in der Sonne. Und
    hütet euch im Fluß zu baden, weil es möglicherweise Krokodile gibt. Und wenn ihr den Hafen erreicht –
    denn da, wo dieser schöne Fluß ins Meer mündet,
    wird ein Hafen sein – sucht euch das zur Heimat bestimmte Schiff sorgfältig aus. Nehmt ein Schiff, dessen Achterdeck nicht zu hoch gebaut ist (wie bei den Spaniern), sondern das eine niedrige, saubere Linie hat. Und vertraut euch nicht den neuen Modellen an, die zuviel Leinwand tragen. Sie überstehen die Stür-me nicht. Hütet euch vor einem Schiff, das zu schwer beladen ist, denn das beweist die Habgier der Reeder und die Dummheit des Kapitäns, daß er so etwas zu-läßt.«
    »Aber das ist deine Sache, Morris«, warf Mister
    Trumpet beunruhigt ein, »die Wahl des Schiffes liegt in deiner Hand.«
    »Denkt an die Charming Molly und was ihr zu-
    gestoßen ist«, fuhr Mister Morris fort, indem er mit einer Geste Mister Trumpet Schweigen befahl. »Seht
    euch daher ihre Kanonen an. Nicht weniger als zwölf und gut poliert: das ist das Zeichen von Kanonieren, die gut geschult sind. Und denkt daran, daß im äu-
    ßersten Fall das Schiff von der Mannschaft abhängt.
    Daher sage ich, meidet wie die Pest glattzüngige
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    Schweine, die, wenn sie betrunken sind, übel von ihren Frauen und ihrem Zuhause reden. Denn solche
    Männer haben keinen Wunsch heimzukehren und
    neigen zur Meuterei. Und –«
    Hier wurde er von dem schlimmsten Hustenanfall
    unterbrachen, den er bisher gehabt hatte, und ich
    sah, daß er eine Menge schaumiges Blut hochbrachte.
    »Wir bleiben lieber bis morgen«, flüsterte Mister
    Trumpet. »Bis sich Morris erholt hat.«
    »Ihr geht gleich«, sprudelte Mister Morris wild.
    »Gleich! Gleich , sage ich!«
    »Aber du bist dem nicht gewachsen, Mann!«
    »Ich – bleibe – hier.«
    »Du bist wohl verrückt geworden. Wir können
    dich nicht hier lassen.«
    »Zum letzten Mal, Trumpet, du mußt mir gehor-
    chen. Um Gottes willen – fort mit euch.«
    Er versuchte aufzustehen, mühte sich wie ein Pferd
    mit gebrochenem Hals. Aber seine Kraft war dahin,
    und er fiel zurück, würgte und spuckte, um das ständig aus seinem Mund kommende Blut zu entfernen.
    Wir eilten ihm zu Hilfe, und er kämpfte, um uns sich vom Leibe zu halten. Seine Brust tat ihm schrecklich weh. Mister Trumpet zog sein Hemd zur Seite. Zum
    ersten Mal sahen wir die »Prellung«, die er erlitten hatte. Die Prellung!
    Seit dem Schiffbruch der Charming Molly hatte
    er einen Splitter des zerschmetterten Steuerruders im Körper, der ihm bis in die Lunge gedrungen war. Er
    muß von Anfang an gewußt haben, daß er verloren
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    war, denn er hatte sich vorwärtsgetrieben und sein
    schauriges Geheimnis bewahrt. Er hatte keinen ande-
    ren Wunsch mehr als unsere Rettung.
    Ich schämte mich sehr bei dem Gedanken, daß ich
    ihn wegen seiner schlechten Laune gehaßt hatte, denn sie spiegelte nur die schlechte Aussicht für sein Leben.
    »Jetzt wißt ihr’s«, sagte er ruhig. »Es bleibt euch nichts übrig, als mich hier zu lassen. Und schnell –
    schnell. Gott! Selbst die armen Teufel im Gefängnis dürfen vor der Hinrichtung einen letzten Wunsch äu-
    ßern, einen allerletzten. Wollt ihr mir den versagen?«
    »Wir versagen dir nichts, Morris«, sagte Mister
    Trumpet leise. »Bis auf das. Wir können dich nicht
    allein lassen …«
    »Idioten! Verdammte Idioten!« schäumte Mister
    Morris schwach. »Zeitvergeudung – Vergeudung –«
    Sein Kopf fiel zurück auf Mister Trumpets Arm.
    Unheimlich, wie seine Kraft so plötzlich dahin-
    schwand, nachdem er sein Ziel erreicht hatte …
    Es hatte keinen Sinn, einem Mann wie Mister
    Morris vorzureden, daß er sicher am Leben bleiben
    würde. Es hätte ihm die Würde genommen, und in
    einem solchen Augenblick hat ein Mann nichts ande-
    res …
    »Wenn wir heimkehren«, murmelte Mister Trumpet.
    »Gibt es irgendwas … irgendwen …?«
    »Niemand.« Er versuchte ein Lächeln – das erste,
    das ich seit Lord Sheringhams Verschwinden an ihm
    gesehen hatte – kriegte es aber nicht fertig.
    »Ich freue mich – wieder den Himmel zu sehen.
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    Dachte, ich – ich würde nicht mehr … hätte gern das Meer gesehen, aber … Trumpet, du bist kein übler
    Kerl, weißt du, wo jetzt dein Fieber geheilt ist. Verstehst du mich?

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