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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Und Jack, Jack Holborn, sei tüchtig …
    lern ein Handwerk … lern es gut … Selbstachtung …
    sehr wichtig … zeichne dich aus in einem, wie? Sei –«
    Es fiel ihm so schwer, die Augen offenzuhalten,
    daß es furchtbar anzusehen war. Mister Trumpet biß
    sich wegen der Grausamkeit der Natur und dieser Art der Trennung auf die Lippen; weil sie den Geist das Versagen des Fleisches so sehr fühlen ließ.
    »Jack!« rief Mister Morris in plötzlicher Erregung.
    »Jack Holborn. Gib – gib mir deine Hand –«
    Das tat ich, und bald darauf war er tot, ohne noch
    ein anderes Wort vorgebracht zu haben.
    Danach knieten wir nieder und sahen auf ihn län-
    ger hin, als ich zu sagen weiß. Dies war das traurigste Erlebnis meines Daseins: ihn dort liegen zu sehen,
    klein, still, die ganze Beseelung aus seinem Gesicht gewichen, so daß es nicht mehr war als Nase, Mund
    und Kinn, die jedem Toten gehört haben konnten
    und nicht mehr der schimmlige Mister Morris waren
    – und nie wieder sein würden.
    Wir hätten ihn gern auf dem Gipfel des Vorgebir-
    ges begraben, aber der Boden war zu hart: deshalb
    gingen wir ein Stück abwärts und gruben ihm ein
    Grab im Schatten der Bäume, nicht weit von seinem
    Fluß. Um ihn zu ehren, machten wir es so tief wir
    konnten (etwa anderthalb Yard) und bedeckten ihm
    das Gesicht mit seinem Hemd, bevor wir es füllten.
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    Als wir fertig waren, glätteten wir die Erde mit den Händen, so daß niemand, der nach uns kam, einen
    Anlaß finden sollte, an diesem Ort nachzugraben.
    Wir verließen die Stelle etwa eine Stunde vor Ein-
    bruch der Nacht und gingen hinab zum Fluß, um den
    Grabesschlamm von unseren Händen zu spülen. Mi-
    ster Trumpet trug den herrenlosen Juwelenbeutel,
    und ich nahm Kompaß, Fernrohr und Messer. Den
    Sextanten ließen wir da, weil er uns nichts mehr nützen konnte.
    XVI
    Der erste und zweite Tag der Welt, aus der Mister
    Morris geschwunden war. Sie war nicht sehr verän-
    dert. Die Sonne ging noch unter und ging wieder auf.
    Mister Trumpet war mir zur Seite und ich ihm. Wir
    waren noch reich: unermeßlich reich. Wir waren auf
    unserem Weg in die Heimat. Und der Fluß von Mi-
    ster Morris sollte uns führen. Was machte es da
    schon, daß wir zerlumpt, hungrig, von Gestrüpp zer-
    kratzt – und zweier unserer Gefährten beraubt wa-
    ren? Wir hatten nichts weiter zu tun, als gehen (aber nicht in der Mittagssonne: letzte Worte, die zu be-herzigen waren!) und gehen und nie zurückblicken.
    Für etwas anderes als Dankbarkeit bestand kein An-
    laß …
    Am Ende dieser ersten vierundzwanzig Stunden
    war ich, so reich ich war, einer Verzweiflung verfal-160
    len, aus der mich weder Mister Trumpet noch meine
    Juwelen herausreißen konnten.
    Ich nehme an, es war der Fluß, von dem ich etwas
    Bestimmtes erwartet hatte, um nun etwas anderes zu
    finden. Da sein Entdecker uns verlassen hatte, verlor ich allen Glauben daran. Dieser erste Blick war eine silberne Täuschung gewesen.
    Es war ein greulicher Fluß: ein Fluß, der unmittel-
    bar aus der Sonne floß, um seinen unheimlichen Lauf durch das Schattenreich der Welt zu schlängeln.
    Nicht weit, nicht nahe deutete er mit seinen schlam-migen Meilen Gott weiß wohin.
    Bei Tag war seine Farbe gelb – vom Schlamm sei-
    nes Bettes – und von einem Fliegenschleier be-
    schmutzt und übersät. Bei Nacht war er schwarz.
    Und doch hatte er einmal, durch die Bäume gefiltert, geglitzert wie ein Halsband.
    Unser Gefährte und Führer, unsere Landstraße,
    unser Rettungspfeil: ein schleichender Leichenwagen von toten Zweigen und verfaulter Vegetation, endlos geschlitzt vom sündigen Lächeln der Krokodile.

    Als die Nacht des zweiten Tages hereinbrach, hatten wir einen Punkt erreicht, wo eine südwärts marschie-rende Sklavenkarawane aus dem östlich gelegenen
    Wald kam. Für uns war das ein Augenblick des Tri-
    umphes und ein sehr hoffnungsvolles Zeichen: denn
    Männer mit Handelsgut mußten auf dem Weg zu ei-
    nem Hafen sein.
    Die Karawane bestand etwa aus hundertzwanzig
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    Menschen, die in Zweierreihen gingen, mit einem
    Gabeljoch Rücken an Brust geschirrt und kreuzweise
    gekettet waren. Vorausgesetzt, daß die schwarzen
    Männer unterwürfig und im Schritt gingen, konnten
    sie nicht sehr gelitten haben, aber an eine Flucht war nicht zu denken. Das Ganze wurde von sieben Ara-bern befehligt, die abwechselnd in zwei Ochsenkar-
    ren fuhren, die den Zug begleiteten. Das schien mir angenehmer, als auf unseren wunden Füßen zu

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