Jack Holborn unter den Freibeutern
weiter, und im-
mer, wenn seine angenehme Stimme zwischen den
Bäumen verklang, zog der Ausdruck angestrengten
Lauschens über sein Gesicht. Dann lächelte er mir zu, als wolle er sich für eine Schwäche entschuldigen …
Seltsam, wie freundlich und großmütig Mister Trum-
pet auf einmal geworden war: denn er war großmütig
Mister Morris gegenüber, indem er seiner harten Übel-launigkeit nachgab und ihn nie erzürnte. Er schien
sich zu erweichen, während sich der andere verhärte-te, als könne seine Großmut nur angesichts der Bos-
heit florieren und seine Freundlichkeit angesichts der Grausamkeit.
Mehr als einmal stellte er sich zwischen Mister
Morris und mich, wenn ich mit meiner Gedankenlo-
sigkeit und Halsstarrigkeit den kleinen Mann zur Raserei gebracht hatte: einmal erhielt er sogar einen halb ungewollten Schlag gegen die Schläfe für seine Mühen.
Aber er nahm es gelassen hin, und am nächsten
Tag war der verschimmelte kleine Mann ein bißchen
zugänglicher. Als er sich aber durch so manches
feindliche Dickicht und Gestrüpp einen Weg bahnte,
schien er seinen Ärger statt dessen am stachligen Fell der Natur auszulassen.
Manchmal, wenn er zu Fetzen gekratzt und sicht-
lich schwach auf den Beinen war, boten ihm Mister
Trumpet oder ich an, voranzugehen, natürlich unter
seiner Führung. Davon wollte er jedoch nichts hören; er traute uns mit keinem Schritt, den er nicht selbst 153
als erster genommen hatte. Und selbst als sich der
Wald zu lichten begann und der Weg deutlicher und
heller wurde, stolperte er voran, wobei er entweder den rechten oder linken Arm ausstreckte, um uns zu-rückzuhalten. Gegen Abend war er so ermattet, daß
er hin und her taumelte, als sei er betrunken. Dann ging Mister Trumpet wieder vor, wobei er mich zur
anderen Seite winkte, um ihm zu helfen, nur um zu-
rückgewiesen zu werden mit einem: »Kümmere du
dich um unsere Nahrung, Trumpet. Ich kümmere
mich um den Weg.«
Elf Tage insgesamt folgten wir ihm, elf rauhe, dü-
stere, einsame Tage, bis plötzlich alle Zeichen der Natur bewiesen, daß uns der kleine Mann richtig ge-führt hatte. Alles deutete auf eine größere Erhebung.
Wir waren dem Gipfel des Vorgebirges nahe, das Mi-
ster Morris ausgemacht hatte.
Dann, am späten Nachmittag des zwölften Tages
nach Lord Sheringhams Verlust (und dem fünfzehn-
ten, seit wir den großen Wald betreten hatten), ge-
langten wir ins Freie und erblickten zum erstenmal
Mister Morris’ Verheißung und Traum: den Traum,
der ihn weiter und über seine eigentliche Kraft vor-wärtsgetrieben hatte, denn er war ein etwas ange-
schimmelter Mann und klein, ein Spielball starker
Winde, der außer seinem Willen nicht viel Kraft be-
saß. Wir sahen den Fluß, der von nun an unser Be-
gleiter und Führer sein sollte.
Vielleicht sahen wir damals nicht mehr als ein Sil-
berblitzen unter den hängenden Bäumen, aber es war
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der Fluß von Mister Morris, und er betrachtete ihn, als sei es der Jordan.
Er schenkte dem großen, weiten Land, zu dem er
uns gebracht hatte, nicht viel Beachtung: die hohen blauen Berge, die ostwärts lagen, kümmerten ihn
nicht. Er vertiefte sich in den Fluß, nahm sein mit grünem Leder bezogenes Fernrohr heraus, starrte,
trat zur einen Seite, dann zur anderen, murmelte, hustete manchmal und vergaß, sich den Mund abzuwi-
schen: »Wenn er dahin fließt – und dahin … wenn es
keine Stromschnellen gibt … er ist breit … schon
breit … breit und schön! Vielleicht tief genug für –
zehn, fünfzehn Meilen … Sie könnten sich ein Floß
bauen … Was ist da? Überhängende Felsen … am
Ufer … Gott sei Dank … ein ausgezeichneter Fluß …
eine sanfte, sanfte Strömung …«
Er steckte das Glas weg und legte den Kompaß auf
den Boden. Ich hatte das bei ihm noch nie gesehen:
daß er seinen Kompaß aus der Hand legte, meine ich.
Dann wandte er sich um und kam wieder den Berg
herauf, denn in seiner Erregung war er ein wenig hin-untergegangen.
»Morris, du blutest!« sagte Mister Trumpet plötz-
lich; denn aus einem Mundwinkel rann ihm Blut, und
er hatte einige Flecken auf dem Kinn vom Husten.
Zum ersten Mal sah ich mir Mister Morris’ Gesicht
im Sonnenschein genau an und merkte, daß er unsäg-
lich blaß war – fast schon grau …
Aber er schüttelte ungeduldig den Kopf und for-
derte uns zum Sitzen auf, während er seinen Plan
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entwickelte. Keine weitere Verwendung für Kompaß
und Sextant. Nur
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