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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Sprache verloren und wir würden wegen dieses
    Mißgeschicks unsere Sache verlieren, aber ich zupfte ihn nicht, wie Mister Trumpet später behauptete, am Ärmel und sagte zu ihm nicht: »Reden Sie! Wir haben das Geld.«
    »Sechzig«, sagte Sir Joseph sehr beiläufig und sah
    sich in der Hütte um, als finde er, sie müsse besser gereinigt werden.
    Wieder Schweigen; und mir war, als ob Mister Fa-
    reds Augen sich über mich senkten – beinahe wie ein Spinngewebe im Dunkel.
    »Siebzig.« Der Portugiese knarrte in seinem Stuhl,
    um durch die offene Tür hinauszusehen, wo seine
    Ware sich gegen die quälenden Fliegen wehrte. Er
    schien sich mehr für sie zu interessieren als für die Guineas. Er sah, ob sie noch kräftig genug waren,
    sich zu verteidigen, sah, ob sie noch nicht aufgaben und in ihren Ketten hingen und sich von den Fliegen auffressen ließen …
    »Neunzig.« Sir Joseph bot jetzt rascher – als liege in dem Ganzen ein versteckter Rhythmus, auf den er
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    eingestellt und mit seinem Einsatz zur Stelle war. Wie der Rhythmus draußen, wo die Sklaven angefangen
    hatten zu singen, weil sie hofften, das würde die Fliegen vertreiben.
    »Einhundertundzehn Guineas.« Der Portugiese
    hatte ein kleines grausames Messer herausgefischt
    und schabte sich damit den schweißigen Schmutz un-
    ter den Nägeln vor. Mister Fared beugte sich zu ihm hinüber und bot ihm dafür einen Zahnstocher an.
    Der Portugiese lächelte und schüttelte den Kopf. Bis der Handel beendet war, blieben alle Männer höfliche Gegner. Keine Geschenke, nicht einmal einen
    Zahnstocher. Kapitän Farmer nickte zustimmend.
    »Und dreißig«, sprach Sir Joseph. Ich war erleich-
    tert. Er ließ diesmal lange darauf warten. Aber alles ging gut. Mister Trumpet sah unbekümmert aus –
    lehnte sich gegen die Wand und pfiff mit seinen roten Lippen. (Ich kannte die Melodie: oh, ich ahnte die
    Melodie!)
    Wieder fing ich Mister Fareds Spinnwebenblick auf.
    Ich sah schnell zur Seite. Ich wollte nichts verraten.
    Ich schaute unbekümmert zum Korral hinaus.
    »Einhundertundfünfzig Guineas!« Er parfümierte
    sich, dieser Portugiese: schweres süßliches Zeug, das mir die Sinne benahm.
    Wie gut kannte er Mister Fared? Ich meinte, ich
    hätte einen verstohlenen Blick zwischen den beiden
    aufgefangen. Und Kapitän Farmer ebenso. Etwas wie
    ein Blick zwischen ihm und dem Portugiesen war da
    gewesen, und zwischen ihm und Mister Fared. Nicht
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    viel … aber ich hatte meine Bedenken. Ich begann
    mir vorzustellen, daß die drei zusammen gegen Sir
    Joseph sein könnten – und uns.
    »Zweihundert Guineas!« Sir Joseph sprach jetzt
    viel lauter. Sehr befehlend, durchaus im Sinne: »Dieser Quatsch muß endlich aufhören«. Mister Fared
    spreizte die Hände und schüttelte unmerklich den
    Kopf, als wolle er sagen, er sehe ein, daß Sir Joseph ein großer Mann sei, und große Männer müßten ihren Willen haben, aber er könne für den portugiesi-
    schen Herrn keine Verantwortung übernehmen, der
    vielleicht nicht genügend Gentleman sei, um die Din-ge so anzusehen wie er und Sir Joseph. Er sei machtlos, so sei der Lauf der Welt. Eine böse Welt, aber, leider, leider, die einzige …
    Ich begann zu begreifen, daß Mister Fared nicht so
    einfältig war wie höflich. Ich fing zu verstehen an, daß sein Lächeln und Schweigen und seine kitzelnden Blicke viel lauter waren als die Stimmen von Sir Joseph – oder seinen Rivalen.
    »Zweihundertfünfzig Guineas.«
    »Seht ihr«, schienen Mister Fareds fremdartige,
    durchdringende Augen zu sagen – nicht so sehr zu Sir Joseph wie zu mir – es war unmöglich, ihn aufzuhalten.
    »Was kann ich tun? Glaubt mir, es tut mir weh …«
    Mister Trumpet winkte mir, versuchte mich von
    Mister Fareds riesengroßen Augen wegzuziehen.
    »Dann – dreihundert Guineas!« Sir Joseph sah sich
    nach Mister Trumpet um, dessen Aussehen immer
    das gleiche blieb.
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    Ich versuchte, mir auszudenken, was zwischen den
    beiden vorging. Ich konnte es nicht fassen. Guineas fochten es bataillonenweise in der dunklen Hütte unter ihren schlauen Kommandeuren aus.
    Ich wäre nach draußen gegangen, um einen klaren
    Kopf zu bekommen, aber die Hitze machte einen
    blind. (Und er war draußen! Ich hörte einen Mann
    schreien – nicht vor Schmerz, sondern vor Verzweif-
    lung wegen der Fliegen.)
    »Dreihundertfünfzig.«
    Sie waren noch immer dabei. Immer noch. Immer
    noch mit ihrem bösen Scharfsinn und ihrer schlim-
    men Klugheit. Stachen sich immer noch

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