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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Wahnsinniger, Idiot!« Nannte mich
    aber nicht »Dieb«, obwohl er außer sich war vor
    Zorn. Er vergaß sich niemals vollkommen.
    Ich gab ihm die Weiße Lady zurück (ein kalter
    Stein, wie sehr man ihn auch in der Hand drückte),
    und er sah ihn bitter an, als werfe er ihm die Bitternis der ganzen Welt vor, als seien die Feuer, die er in die Herzen der Menschen werfe, nur Reflexionen seines
    eisigen Glitzerns.
    Er steckte ihn weg und sagte: »Komm leise wieder
    zu Bett. Vielleicht ist er nicht aufgewacht. Nicht nö-
    tig, daß er davon erfährt.« Er machte mir keine Vor-würfe, tadelte mich nicht. »Wenn er wach ist, sage, daß dir übel geworden ist … daß du etwas Luft
    schnappen wolltest … und ich sei mitgekommen. Sa-
    ge nicht mehr als das.«
    Wir hatten begonnen zurückzugehen – so langsam,
    wie ich’s ihm aufzwingen konnte. Aber noch bevor
    wir aufbrachen, war es zu spät. Die Konstabler klopften an die Tür. Mister Trumpet suchte seine Schritte zu beschleunigen, aber ich hielt ihn zurück. So kam er auf die Vermutung, daß ich’s wußte.

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    Er war völlig schlaftrunken, als sie ihn festnahmen, und protestierte schwach: »Ich gehe ruhig mit Ihnen
    … Gewalt ist nicht nötig … nicht nötig …«
    Ich hörte sie nach seinen Gefährten fragen, aber er antwortete nur: »Reisebekanntschaften … mehr nicht
    … kenne sie nicht … ich bin allein … ganz allein …
    allein …«
    Dann schafften sie ihn fort, die Straße hinunter in einem ruckenden Knäuel von Schatten, das auseinan-derbrach und wieder zusammenwuchs, wenn er ver-
    suchte, allein und mit Würde zu gehen – und sie ihn nicht ließen … Er sollte ins Gefängnis geschleppt
    werden, und er wurde geschleppt.
    Mister Trumpet und ich waren allein und verlassen
    in der kalten, kalten Straße – sehr still und leer. Mister Trumpet sah mich nicht an und sprach nicht mit mir, sondern ging langsam zurück in den »Nordstern«, wo der verblüffte Wirt und seine betrübte
    Frau uns nachblickten, als wir die Treppe hinaufgingen, und dann die Tür verschlossen und verriegelten.
    Als es Morgen wurde, brachte Mister Trumpet es
    übers Herz, mich zu fragen: »Warum hast du es ge-
    tan, Jack? Was hat dich geritten? Es war doch nicht für Geld, oder? Um Gottes willen, sag, es war nicht für Geld.«
    Ich schüttelte den Kopf, versuchte zu erklären.
    Verrat durch Unterlassung war so schlimm wie durch
    Handlung. Dadurch, daß ich es unterließ, »Mister
    Rogers« zu warnen, hatte ich die Verhaftung von
    Lord Sheringham zur todsicheren Sache gemacht.
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    Mister Trumpet sah mich scharf an, versuchte,
    mich zu verstehen, (»Jungen sind von Natur komi-
    sche Tiere –«) vielleicht mir, für das, was ich getan hatte, zu verzeihen. Ich glaube nicht, daß er’s konnte.
    Aber es war viel wert, daß er sich Mühe gab.
    Indem er sich nicht von mir abwandte – denn er
    hatte selbst viel zu verlieren, wenn ich ein geborener Verräter war – (denn er war auf der falschen Seite des Gesetzes, da er zu früh von der Deportation zurück-gekehrt war), indem er sich nicht von mir abwandte, bewies er große Barmherzigkeit und einen wahren
    Anstand, der selten war in seiner Art.
    »Was ist in dich gefahren, Jack? Zweimal hast du
    ihn meines Wissens gerettet –?« fuhr Mister Trumpet verständnislos fort. »Einmal hast du dein Leben riskiert. Das zweite Mal deinen Beutel geopfert. Und
    jetzt, wo nichts auf dem Spiel steht, weder Leib noch Leben, gibst du deinen guten Namen drein, um ihm
    den Garaus zu machen. Was ist die Idee hinter dem
    allem, Jack? Gesundheit und Vermögen bist du bereit zu opfern. Was ist das dritte, daß du dreingeben
    kannst! Weißt du das selbst in deinem unglücklichen Herzen?«

    Die Kutsche nach London sollte um elf Uhr gehen.
    Ich war gespannt, ob Mister Trumpet versuchen
    würde, ihn zu sprechen, bevor wir fuhren. (Denn wir fuhren nach London, ungeachtet der Katastrophe.)
    Aber er saß rum im Gastzimmer des »Nordstern«,
    starrte aus dem Fenster und blickte von Zeit zu Zeit 223
    nach der Uhr. Vielleicht fragte er sich, ob ich gehen wollte. Er sah dafür trübsinnig genug aus. Aber ich hatte weder den Willen noch den Mut, diesem Mann
    in seinem äußersten Unglück zu begegnen, in das ich ihn gestoßen hatte. Zudem hätte er nur geglaubt, ich käme, um mir mein Geheimnis zu erbetteln. Und das
    hatte ich jetzt hinter mich getan.
    »Ich dachte, du wärst ihm ergeben, Jack«, sagte
    Mister Trumpet endlich.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Willst

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