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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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du ihn sehen, bevor wir fahren?«
    »Nein.«
    »Ist vielleicht auch gut so. Losgeschnitten – und
    sauber geschnitten, wie?«
    »Wollen Sie gehen, Mister Trumpet?«
    Er schüttelte den Kopf. Hatte keinen Sinn. Was
    war zu erreichen?
    Obwohl er es nicht aussprach, war es doch klar,
    daß er nicht gehen wollte, um nicht gefragt zu wer-
    den, wer der Verräter gewesen war … Ihm war lie-
    ber, daß Lord Sheringham, unser verlorener Gefähr-
    te, von einer unnötigen Wahrheit nicht betrübt wer-
    den sollte. Mir wurde traurig klar, daß Mister Trumpet zwar noch mit mir zusammenblieb, aber nur noch
    aus Mitleid: seine Zuneigung war hin.
    Etwa um Viertel nach zehn kam ein vergammelt
    aussehender Kunde in den »Nordstern«. Das war der
    Mann, der die erste Nachricht brachte. Er sah sich
    um. »Master Jack Holborn?«
    Ich nickte – mit einer halben Ahnung.
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    »Was ist Ihnen das wert?« Er hielt ein gefaltetes
    Stück Papier hoch. Einen Augenblick dachte ich, mein Geheimnis stehe darin. Glühende Kohlen. In welchem
    Falle der Wert des Papiers – »– einen Krug Bier«, sagte Mister Trumpet.
    Der Bote hatte den Vorteil bei diesem Handel. Ich
    kriegte nur drei Worte: Komm zu mir. S.
    »Eine Antwort, Master Holborn?«
    »Nein. Keine Antwort.«
    Die Kutsche nach London verließ Weymouth
    Punkt elf Uhr, und bis zur letzten Minute hat Mister Trumpet wahrscheinlich erwartet – ja gehofft – daß
    ich in Erwiderung der Botschaft fortginge. Er blickte immer wieder zur Kirchenuhr empor und sagte mir,
    wieviel Zeit wir noch hätten. Er schritt im Hof auf und ab und sagte es mir … Dann, als es klar war, daß ich nicht gehen würde, runzelte er die Stirn, als sei er auf eine dunkle Stelle in der menschlichen Natur gestoßen, die er sich nicht hätte träumen lassen.
    Erst volle fünf Minuten, nachdem wir abgefahren
    waren, begann meine Reue. Denn ich stellte mir vor, daß möglicherweise in seinen letzten Tagen er – der Mann im Gefängnis – an einen Punkt gelangt sei, wo
    ihm das Böse nicht mehr nützen und das Gute nicht
    mehr schaden konnte. Ich stellte mir vor, daß er mir ein Geschenk zu machen wünschte – und eine Beichte.
    Diese Hoffnungsmade nagte die ganze Zeit bis
    nach Dorchester. Anderes gab es nicht zu denken,
    nichts, um einen abzulenken. Es regnete heftig, und die Kutschenfenster vergossen ruhelose Tränenbäche.
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    Ein Wort von Mister Trumpet zu dieser Zeit, und
    ich wäre zurückgefahren, auch in diesem leidigen Regen. Aber kein solches Wort kam. Er hatte in der
    Kutsche Freundschaft geschlossen und würdigte mich
    kaum eines Blickes.
    Ich dachte daran, mir eine Guinea von ihm zu
    borgen und damit zurückzufahren. Denn was hatte
    ich in London zu hoffen? Die Hoffnung, soweit es
    sie überhaupt gab, lag im Gefängnis von Weymouth.
    Eine quälende Hoffnung, die ich für tot gehalten
    hatte.
    Im Wirtshaus von Blanford hatte ich mich ent-
    schlossen, Mister Trumpet um diese Guinea anzuge-
    hen. Es war ein weltliches Wirtshaus, und Mister
    Trumpet war ein weltlicher Mann. Ein halbes Dut-
    zend Reisende waren im Gastzimmer, und Mister
    Trumpet erklärte dem Wirt, wie man Wein würzte.
    Der Wirt hätte ihm geantwortet, wollte es anschei-
    nend gern, als der triefende Herr mit seinen vielen Umhängen kam und sofortige Bedienung verlangte.
    Er sah sich sehr forschend im Raum um, lächelte
    dann halb und richtete den Blick auf Mister Trumpet.
    Er kam zu ihm und fragte leise: »Sind Sie der Gatte der Weißen Lady, und ist einer Ihrer Freunde in der Patsche?«
    Mister Trumpet furchte die Stirn und nickte, und
    die zweite Botschaft kam zum Vorschein. Diesmal
    ging sie nicht an mich.
    Mister Trumpet las sie, zweimal, und steckte sie
    dann weg. Er wollte sie mir nicht zeigen. Ich beschloß, 226
    die Guinea erst dann zu borgen, wenn ich wußte, was drin stand.
    Aber das verzögerte sich, bis wir Salisbury erreichten, wo wir übernachteten. Er gab sie mir nach dem
    Abendessen ohne ein Wort, überreichte sie mir wie
    einen letzten Gang.
    Diesmal stand mehr drin.
    Dover Street 17 . London. Aber bring um Gottes willen nicht den Jungen mit. S.
    Da beschloß ich endgültig, die Guinea nicht zu
    borgen.
    XXIII
    Wir erreichten London in Regen und Dunkelheit am
    28. November: Gasthaus George in Southwark, nicht
    weit von Holborn. Ich hatte den Kreis beinahe ge-
    schlossen. Von dort gingen wir direkt zur Dover
    Street, und mein guter Freund, Mister Trumpet,
    machte seinen ersten Besuch in der Nummer 17.
    Der Schock brachte

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