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Jack Holborn

Jack Holborn

Titel: Jack Holborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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weiß nicht, ob ich mehr froh oder böse war, daß ich um ein Gespenst betrogen wurde, aber einer in der Mannschaft hatte da keine Zweifel. Er nahm die Muskete von der Schulter und schickte eine Kugel, die das Wasser einen Yard vor dem Floß aufriß.
    »Deine verdammten Fahrten sind jetzt vorbei, mein Junge!«
    Das befeuerte etwa ein Dutzend andere, die anfingen, ein paar billige Schüsse auf den armen Strolch abzugeben.
    Das Knallen und Rasseln der Musketen war ein sehr ironisches Begrüßungsgeräusch für ein Lied, ein sehr übles und abstoßendes Geräusch, denn der Mann auf dem Floß hatte nichts, sich zu verteidigen, und kein Segel, um zu entfliehen, und er hatte seinen Mördern nichts anderes angetan, als daß er sie ein bißchen durch sein Singen im Nebel geängstigt hatte … Selbst der vernünftige und adrette Mister Morris war aufs Achterdeck herausgekommen und sah fröhlich zu: dann ging er zurück, um dem Kapitän vom Morgensport zu berichten.
    Ich versuchte zu winken, in der Hoffnung, daß er mich sehen und – bevor er getötet wurde – wissen würde, daß einer an Bord war, der ihm nichts Böses zudachte. Aber es entging ihm, denn sein Kopf war in einem Bündel aus dunklem Tuch verborgen. Deshalb sah ich nicht weiter hin, denn ich wollte nicht Zeuge sein wie er getroffen wurde, und wartete auf das Freuden- und Triumphgeschrei, das sein Ende verkünden würde.
    Drei oder vier Schüsse hörte ich noch, dann rief eine Stimme: »Aufhören, Kameraden. Seht euch das an!«
    Auf dem Floß war eine ungefähre Art von Mast, und daran hatte er eine Fahne aufhängen können. Sie entfaltete sich – schwarz mit einem weißen Totenkopf.
    »Er ist einer von uns, Kameraden! Seht nur! Er ist von der Zunft!«
     
    »Er ist einer von uns!« Wunderbar, wunderbar … Vielleicht ein weiter Mister Taplow – ein Ersatz für Ben Fox. Genau was die Welt am meisten brauchte. Und ich hatte ihn bemitleidet. Beinahe laut gejubelt, als ihn die Kugeln nicht trafen. Jetzt wußte ich auch warum: er war zum Hängen geboren, nicht um erschossen zu werden. Er hatte mein Mitleid unter falschen Vorspiegelungen gewonnen, unzweifelhaft bekam er viele Dinge auf diese Weise, aber das Mitleid wurmte mich am meisten. Es war eine arge Schmach, und ich wünschte ihm dafür den Tod.
    Aber er lebte, und ich versuchte, das Beste rauszuholen, indem ich überlegte, daß es ein neues Gesicht unter den abgestandenen sein würde, und wenn er vielleicht auch nicht besser war als meine täglichen Gefährten, dann war es doch nicht möglich, daß er schlechter sein konnte.
    Kurz darauf wurde er mit so viel Tamtam an Bord geholt, als sei er König Neptun. Ich habe nie so viele hilfreiche Hände gesehen – an den Armen so vieler Mörder.
    Ich versuchte, einen Blick auf ihn zu erhaschen, aber es gab kein Loch in der Menge.
    Als dann die Männer Platz machten, um Mr. Morris durchzulassen, sah ich wallendes dunkles Haar und ein Paar kluge braune Augen, die seine neuen Freunde zu prüfen schienen – und die alten schlimmen Gesichter. Dann drängten sich zerlumpte Rücken dazwischen, und ich wandte mich, um zu meinem Platz in der Kombüse zurückzukehren – und meine Gefühle Mister Pobjoy mitzuteilen.
    Die Kombüse war leer. Mister Pobjoy war auf Deck gegangen. Dreck und Unordnung überall – wie gewöhnlich. Er rührte keinen Finger, um sauber zu machen. Dann fiel mir ein, daß er’s mir aufgetragen hatte. »Jacks Arbeit … Mach dich dran … Jacks Arbeit.«
    Ich machte beim Arbeiten ’ne ganze Menge Krach, denn ich wurde immer zorniger. Alles war verschworen, mich mehr zu reizen: kleine Ärgernisse kamen wie ’ne Lawine … ich riß mir einen Splitter von einer Tonne Schweinefleisch in den Daumen, worauf ich einen Becher, klatsch! in die Lake fallen ließ.
    »Möge er verfaulen, weil er an Bord gekommen ist!« (Ich meinte den Fremden – diesen musikalischen Neptun). Ich steckte die wehe Faust nach dem Becher rein, und das Salz brannte meine Wunde mörderisch. Also riß ich die Faust wieder raus – und kriegte einen zweiten Splitter in den empfindlichsten Teil meines Armes – die Unterseite des Ellbogens, etwas über dem Gelenk.
    »Fäulnis über Mister Pobjoy und seine dreckigen Gewohnheiten! Fäulnis über dieses verrottete Schiff und seine verrottete Mannschaft. Und Fäulnis über den Tag, an dem ich auf See ging.«
    Ich setzte mich und wischte mit der brennenden Hand über das Gesicht. Das Salz stieg mir gleich in die Augen, und ich dachte, ich

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