Jack McEvoy 01 - Der Poet
überflog ein paar Seiten, bis er gefunden hatte, was er suchte. Er las laut vor. »>Berge, stürzend ohne Ende / tief in Meere ohne Strände.< Das war es.«
Walling und Backus sahen mich an. Ich zog das Buch hervor und blätterte in den Gedichten.
»Ich erinnere mich an diese Zeilen, aber ich weiß nicht mehr genau, wo sie stehen.«
Ich las die Gedichte, die der Poet benutzt hatte, rasch durch und fand die Worte in >Traumland<, dem Gedicht, das er schon zweimal verwendet hatte, auch in der Botschaft, die er auf der Windschutzscheibe meines Bruders hinterlassen hatte.
»Ich habe es«, sagte ich.
Ich hielt das Buch so, dass Rachel das Gedicht lesen konnte. Die anderen drängten näher.
»Scheißkerl«, murmelte Grayson.
»Können Sie uns kurz sagen, wie es sich Ihrer Meinung nach abgespielt hat?«, fragte Rachel ihn.
»Natürlich. Unsere Theorie ist, dass dieser Kerl, wer immer er war, eindrang und Bill im Schlaf überraschte. Er zwang ihn, aufzustehen und sich anzuziehen. Dabei hat Bill sein Haar falsch gescheitelt. Ich meine, er wusste zwar nicht, was passieren würde, aber vielleicht ahnte er es. Jedenfalls wollte er uns ein kleines Zeichen hinterlassen. Dann wurde er ins Wohnzimmer geführt, auf den Stuhl gesetzt und gezwungen, diese Botschaft auf ein Stück Papier zu schreiben, ein Blatt aus seinem eigenen Notizbuch, das er immer in der Tasche seines Jacketts hatte. Daraufhin erledigt ihn der Kerl mit einem Schuss in den Mund. Drückt Bill die Waffe in die Hand, schießt in den Boden, und somit haben wir die Pulverrückstände an der Hand. Der Täter verschwindet, und wir finden den armen Bill erst drei Tage später.«
Grayson warf über die Schulter einen Blick auf den Toten, stellte fest, dass sich niemand mehr mit ihm beschäftigte, und sah auf die Uhr.
»Hey, wo bleibt der Mann?«, sagte er. »Jemand muss ihm sagen, dass wir fertig sind. Sie sind doch fertig, oder?«
»Ja«, sagte Thompson.
»Wir müssen ihn fertig machen.«
»Detective Grayson«, sagte Walling. »Gab es einen speziellen Fall, an dem Detective Orsulak gerade arbeitete?«
»Ja, und ob. Die Sache mit dem kleinen Joaquin. Achtjähriger Junge, vor einem Monat entführt. Alles, was von ihm gefunden wurde, war sein Kopf.«
Die Erwähnung des Falles und seine Brutalität hatte ein allseitiges Schweigen zur Folge. Schon vor diesem Augenblick hatte ich keinerlei Zweifel daran gehabt, dass zwischen Orsulaks Tod und den anderen ein Zusammenhang bestand, aber nachdem ich von dem Verbrechen an dem Jungen gehört hatte, verspürte ich eine unumstößliche Gewissheit und die inzwischen allzu vertraute Wut in meinen Eingeweiden.
»Vermutlich nehmen Sie alle an der Beerdigung teil?«, sagte Backus.
»So ist es.«
»Können wir uns für einen späteren Zeitpunkt verabreden? Wir würden gern die Berichte über diesen Jungen sehen.«
Sie verabredeten sich für neun Uhr am Sonntagmorgen in der Zentrale der Polizei von Phoenix. Grayson glaubte offenbar, dass es ihm in seinem eigenen Revier noch am ehesten gelingen würde, ein Stück des Falles für sich selbst zu behalten.
»Noch etwas. Die Presse«, sagte Walling. »Ich habe draußen einen Übertragungswagen gesehen.«
»Ja, die sind ständig in der Nähe, vor allem, nachdem sie ...«
Er beendete den Satz nicht.
»Nachdem sie was?«
»Nun ja, jemand hat über die Polizeifrequenz verraten, dass wir uns hier mit dem FBI treffen.«
Rachel stöhnte, und Grayson nickte, als hätte er das erwartet.
»Hören Sie, die Sache muss unbedingt geheim bleiben«, sagte Rachel. »Wenn irgendetwas von dem, was wir Ihnen eben erzählt haben, an die Öffentlichkeit gelangt, wird der Poet untertauchen, und wir werden den Mann, der das getan hat, nie erwischen.«
Sie deutete mit einem Kopfnicken auf den Toten, und ein paar der Cops drehten sich um, als wollten sie sich vergewissern, dass er noch da war. Der Bestattungsunternehmer hatte gerade den Raum betreten und griff nach dem Kleiderbügel. Er musterte uns alle und wartete offenbar darauf, dass wir verschwanden, damit er den Toten ankleiden konnte.
»Wir sind schon so gut wie weg, George«, sagte Grayson. »Sie können anfangen.«
Backus mahnte: »Sagen Sie den Medienvertretern, dass das Interesse des FBI reine Routine war und dass Sie mit Ihren Ermittlungen über einen mutmaßlichen Mord fortfahren werden. Versuchen Sie so zu tun, als seien Sie sich Ihrer Sache keineswegs sicher.«
Als wir über den Parkplatz zu den Dienstfahrzeugen zurückkehrten,
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