Jack McEvoy 01 - Der Poet
dass hier die Kanzlei Krasner & Peacock residierte. Thorson legte seine aufgeklappte FBI- Marke und seinen Ausweis auf den Tresen der Empfangsdame und verlangte nach Krasner.
»Tut mir Leid«, sagte sie. »Mr. Krasner ist heute Morgen nicht da.«
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich bin ich sicher. Er ist bei Gericht und kommt erst am frühen Nachmittag zurück.«
»Hier in der Nähe? Welches Gericht?«
»Hier in der Nähe. Das CCB.«
Wir ließen den Wagen stehen und gingen zu Fuß zum Criminal Courts Building. Die Anklageerhebungen fanden im fünften Stock in einem riesigen, mit Marmor verkleideten Gerichtssaal statt, in dem es von Anwälten, den Angeklagten und den Angehörigen der Angeklagten nur so wimmelte.
Thorson näherte sich einer Gerichtsangestellten, die an einem Schreibtisch in der ersten Reihe des Zuschauerbereichs saß, und fragte sie, welcher von den Anwesenden Krasner sei. Sie deutete auf einen kleinen Mann mit sich lichtendem rotem Haar und einem roten Gesicht, der in der Nähe der Gerichtsschranken stand und sich mit einem Mann im Anzug, vermutlich einem anderen Anwalt, unterhielt. Thorson strebte auf ihn zu.
»Mr. Krasner?«, unterbrach er die beiden Männer.
»Ja?«
»Könnten wir draußen auf dem Flur ein paar Worte miteinander reden?«
»Wer sind Sie?«
»Das werde ich Ihnen draußen sagen.«
»Sie können es gleich hier sagen oder allein auf den Flur gehen.«
Thorson zog seine Brieftasche. Krasner betrachtete die Marke und den Ausweis, und ich sah, wie sich seine kleinen Schweinsaugen hin und her bewegten. Offensichtlich dachte er nach.
»Jetzt wissen Sie wohl, worum es geht«, sagte Thorson. Dann sah er den anderen Anwalt an. »Würden Sie uns bitte entschuldigen?«
Auf dem Flur gewann Krasner seine anwaltliche Großspurigkeit zurück.
»Na schön, aber ich habe in fünf Minuten eine Anklageerhebung. Worum geht es?«
»Ich dachte, darüber wären wir hinaus«, sagte Thorson. »Es geht um einen Ihrer Mandanten. William Gladden.«
»Der Name ist mir unbekannt.«
Schon wollte er sich an Thorson vorbei auf die Tür zum Gerichtssaal zubewegen. Thorson streckte gelassen die Hand aus und drückte sie dem anderen Mann auf die Brust, woraufhin dieser wie angewurzelt stehen blieb.
»Bitte«, sagte Krasner. »Sie haben kein Recht, mich anzurühren. Lassen Sie mich sofort los!«
»Sie wissen, über wen wir reden, Mr. Krasner. Sie stecken schwer in der Klemme, weil Sie die wahre Identität dieses Mannes vor der Polizei und dem Gericht geheim gehalten haben.«
»Nein, da irren Sie sich. Ich hatte keine Ahnung, wer er war. Ich habe den Fall so übernommen, wie er sich mir darbot. Wer er in Wirklichkeit war, ging mich nichts an. Und es gibt nicht das Fünkchen eines Beweises oder auch nur des Verdachts, dass ich Bescheid wusste.«
»Den Quatsch können Sie sich sparen, Herr Anwalt. Für den Richter. Wo ist Gladden?«
»Ich habe keine Ahnung, und selbst wenn ich sie hätte, würde ich ...«
»Dann würden Sie es nicht sagen? Das ist die falsche Einstellung, Mr. Krasner. Ich werde Ihnen etwas sagen. Ich habe mir die Unterlagen Ihrer Vertretung von Mr. Gladden angeschaut, und es sieht nicht gut für Sie aus, wenn Sie wissen, was ich meine. Nicht koscher. Das könnte ein Problem für Sie werden.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Wie ist er nach seiner Verhaftung auf Sie verfallen?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe ihn nicht danach gefragt.«
»War es auf eine Empfehlung hin?«
Während Krasner seine Sekretärin anrief und ihr mit zittriger Stimme die Anweisung erteilte, stand Thorson schweigend daneben und beobachtete ihn. Ich war mir nicht sicher, ob ich Thorsons Raffinesse bewundern sollte oder ob sie mich abstieß. Als Krasner das Handy zuklappte, fragte Thorson, wie viel Geld ihm überwiesen worden war.
»Genau sechstausend Dollar.«
»Fünf für die Kaution und tausend für Sie. Wieso haben Sie nicht mehr herausgeholt?«
»Er hat gesagt, das sei alles, was er hätte. Ich habe ihm geglaubt. Kann ich jetzt gehen?«
Krasner blickte resigniert und geschlagen drein. Noch bevor Thorson auf seine Frage antworten konnte, wurde die Saaltür geöffnet, und ein Gerichtsdiener steckte den Kopf heraus.
»Artie, Sie sind dran.«
»Okay, Jerry.«
Krasner machte einen Schritt auf die Tür zu. Wieder hielt Thorson ihn auf. Diesmal protestierte Krasner nicht gegen seine Berührung. »Artie - ich darf Sie doch Artie nennen? Sie täten gut daran, ein bisschen in Ihrer Seele zu
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