Jack McEvoy 01 - Der Poet
forschen. Das heißt, falls Sie überhaupt eine haben. Sie wissen mehr, als Sie hier gesagt haben. Wesentlich mehr. Und je mehr Zeit Sie vergeuden, desto größer ist die Gefahr, dass noch jemand umgebracht wird. Denken Sie darüber nach, und rufen Sie mich an.«
Er schob eine Visitenkarte in die Brusttasche von Krasners Jackett und klopfte dann sanft darauf.
»Meine hiesige Nummer steht auf der Rückseite. Rufen Sie mich an. Wenn ich die Informationen, die ich brauche, von jemand anders bekomme und dann feststelle, dass Sie über dieselben verfügt haben, dann können Sie sich auf einiges gefasst machen, Herr Anwalt. Dann bin ich gnadenlos.«
Nach diesen Worten trat Thorson beiseite. Der Anwalt begab sich langsamen Schrittes zurück in den Gerichtssaal.
Thorson redete erst wieder mit mir, als wir auf die Straße hinaustraten.
»Glauben Sie, dass er kapiert hat?«
»Ganz bestimmt. Bleiben Sie in der Nähe des Telefons. Er wird anrufen.«
»Warten wir’s ab.«
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Was?«
»Haben Sie ihn wirklich durch die hiesigen Cops überprüfen lassen?«
Thorsons Antwort bestand aus einem Lächeln.
»Und die Sache, dass er ein Pädosexueller ist. Woher haben Sie das gewusst?«
»Das war nur ein Schuss ins Blaue. Pädosexuelle umgeben sich gern mit ihresgleichen. Sie haben Telefonnetze, Computernetze, ein komplettes Kontaktsystem. Sie gegen den Rest der Welt. Eine missverstandene Minorität und dergleichen Blödsinn mehr. Also habe ich vermutet, dass Krasners Name auf irgendeiner Liste steht. Es war den Versuch wert. Ich glaube, es war ein Volltreffer. Sonst würde er die Überweisungsunterlagen nicht herausrücken.«
»Vielleicht. Vielleicht hat er aber auch die Wahrheit gesagt, als er behauptete, nicht zu wissen, wer Gladden ist. Vielleicht hat er einfach ein Gewissen und will nicht, dass noch jemand zu Schaden kommt.«
»Offensichtlich kennen Sie nicht viele Anwälte.«
Fünf Minuten später warteten wir vor der Kanzlei von Krasner & Peacock bereits wieder auf den Fahrstuhl. Thorson betrachtete den Eingangsbeleg der Kabelüberweisung von 6000 Dollar.
»Das Geld kam von einer Bank in Jacksonville«, sagte er, ohne aufzuschauen. »Wir müssen Rach darauf ansetzen.«
Mir fiel auf, dass er die Kurzform ihres Namens benutzte. Es hörte sich irgendwie intim an.
»Warum sie?«, fragte ich.
»Weil sie in Florida ist.«
Er schaute von dem Beleg zu mir auf und lächelte.
»Habe ich Ihnen das nicht gesagt?«
»Nein, das haben Sie nicht.«
»Backus hat sie heute Morgen losgeschickt. Sie soll mit Horace dem Hypnotiseur reden und mit dem Team in Florida Zu sammenarbeiten. Wissen Sie was - unten im Foyer ist ein Telefon. Mal sehen, ob ich jemanden ausfindig machen kann, der ihr diese Kontonummer durchgibt.«
38
Auf dem Weg von der Innenstadt nach Santa Monica sprachen wir nicht viel. Ich dachte darüber nach, dass Rachel in Florida war. Ich konnte nicht verstehen, weshalb Backus sie dorthin geschickt hatte. Es gab zwei Möglichkeiten. Die eine war, dass Rachel aus irgendeinem Grund, möglicherweise meinetwegen, bestraft und vom Hauptschauplatz abgezogen worden war. Die andere war, dass es bei dem Fall einen Durchbruch gegeben hatte, von dem ich nichts wusste und der mir absichtlich verschwiegen wurde. Beide Möglichkeiten waren unerfreulich, aber ich stellte fest, dass mir die erste insgeheim noch lieber war.
Thorson schien während des größten Teils der Fahrt in Gedanken versunken; vielleicht hatte er es auch einfach satt, mit mir zusammen sein zu müssen. Aber als wir vor der Polizeizentrale von Santa Monica parkten, beantwortete er mir meine Frage, bevor ich sie stellen konnte.
»Wir müssen die Sachen abholen, die sie Gladden bei seiner Verhaftung abgenommen haben. Wir wollen alles beisammen haben.«
»Und die werden sie Ihnen so ohne weiteres übergeben?«
Ich wusste, wie kleine und auch größere Polizeistationen zu reagieren pflegten, wenn das FBI auf der Bildfläche erschien.
»Das wird sich erweisen.«
Am Tresen im Vorzimmer des Büros der Detectives wurde uns gesagt, dass Constance Delpy bei Gericht wäre, aber ihr Partner Ron Sweetzer würde gleich kommen. Gleich bedeutete bei Sweetzer zehn Minuten, wie Thorson übel vermerkte. Ich bekam den Eindruck, dass das FBI, zumindest in Gestalt von Gordon Thorson, es gar nicht schätzte, auf jemanden warten zu müssen, und schon gar nicht auf einen Kleinstadt-Cop.
Endlich erschien Sweetzer und fragte, was er für uns tun
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