Jack McEvoy 01 - Der Poet
ihm nichts«, sagte St. Louis rasch zu Wexler.
»Oh«, sagte ich. »Gibt es denn etwas Neues?«
»Nichts ist neu«, sagte Wexler. »Was sollten wir schon zu erzählen haben?«
Es war ein Tanz. Freundschaftliches Geplauder, um Infor mationen zu Tage zu fördern, ohne direkt danach zu fragen und eine abschlägige Antwort zu erhalten. Es lag auf der gleichen Ebene wie die Spitznamen, die die Cops benutzten. Ich hatte schon häufig so getanzt, und ich war gut darin. Es waren Schritte, die Finesse erforderten. Wie das Trainieren der Drei-Mann-Kombination beim Basketball in der High School. Den Ball im Auge behalten und dabei gleichzeitig die anderen beiden Spieler beobachten. Ich bin seit jeher ein Finessen-Spieler. Sean war der Kraftspieler gewesen. Er hatte Football gespielt. Ich Basketball.
»Irgendetwas Interessantes wird es schon geben«, sagte ich. »Ich bin wieder an der Arbeit, Jungs.«
»Oh, jetzt geht’s los«, stöhnte St. Louis. »Haltet eure Hüte fest.«
»Also, was passiert im Fall Lofton?«, fragte ich Wexler, St. Louis ignorierend.
»Hören Sie, Jack - fragen Sie uns jetzt als Reporter?«, fragte Wexler.
»Ich frage nur Sie. Und ja, als Reporter.«
»Dann kein Kommentar zu Lofton.«
»Die Antwort lautet also, dass nichts passiert.«
»Ich habe gesagt, kein Kommentar.«
»Hören Sie, ich möchte sehen, was Sie haben. Der Fall ist inzwischen fast drei Monate alt. Er kommt bald auf den Stapel der ungelösten Fälle, wenn er nicht schon dort ist, und das wissen Sie genau. Ich möchte nur die Akte sehen. Ich möchte wissen, was Sean dermaßen zu schaffen gemacht hat.«
»Sie vergessen etwas. Der Tod Ihres Bruders wurde zum Selbstmord erklärt. Es spielt keine Rolle, was ihm an Lofton zu schaffen gemacht hat. Außerdem ist es keineswegs bewiesen, dass sein Tod irgendetwas damit zu tun hatte. Es war bestenfalls ein Begleitumstand. Aber das werden wir nie erfahren.«
»Sparen Sie sich den Blödsinn. Ich habe gerade die Akte über Sean gelesen.« Ich hatte den Eindruck, dass sich Wexlers Brau en hoben, aber nur geringfügig. »Es steht alles darin. Der Fall hat Sean nicht losgelassen. Er ging zu einem Therapeuten, er verbrachte seine ganze Zeit damit. Also behaupten Sie bitte nicht, dass wir es nie erfahren werden.«
»Hören Sie, mein Junge, wir ...«
»Haben Sie Sean auch so genannt?«, unterbrach ich ihn.
»Was?«
»Mein Junge. Haben Sie ihn je >mein Junge< genannt?«
Wexler schien verwirrt. »Nein.«
»Dann nennen Sie mich auch nicht so.«
Wexler hob in einer abwehrenden Geste die Hände.
»Weshalb kann ich die Akte nicht sehen? Sie kommen doch eh keinen Schritt weiter.«
»Wer behauptet das?«
»Ich. Sie haben Angst davor, Mann. Sie haben gesehen, was sie Sean angetan hat, und wollen nicht, dass Ihnen dasselbe passiert. Also steckt die Akte in irgendeiner Schublade. Sie hat bereits Staub angesetzt, da bin ich ganz sicher.«
»Sie spinnen, Jack. Und wenn Sie nicht der Bruder Ihres Bruders wären, würde ich Ihnen einen Tritt in den Arsch versetzen und Sie hier hinausbefördern! Sie stinken mir! Und Leute, die mir stinken, vertrage ich absolut nicht.«
»Ach, wirklich? Dann stellen Sie sich doch mal vor, wie mir zu Mute ist! Immerhin bin ich sein Bruder, und ich finde, das gibt mir gewisse Rechte.«
St. Louis lachte höhnisch auf.
»Hey, Big Dog, wäre es nicht an der Zeit, dass Sie rausgehen und einen Hydranten oder sonst etwas bewässern?«, sagte ich.
Wexler konnte ein Lachen gerade noch unterdrücken. Aber St. Louis’ Gesicht wurde rot.
»Hören Sie zu, Sie kleiner Scheißkerl«, sagte er. »Ich werde Ihnen ...«
»Immer mit der Ruhe«, mischte sich Wexler ein. »Immer mit der Ruhe. Ray, ich schlage vor, du gehst mal nach draußen und rauchst eine Zigarette. Lass mich allein mit Jackie reden. Ich sage ihm, was Sache ist, und dann komme ich nach.«
Ich stand auf, damit St. Louis sich hinausschieben konnte. Dabei starrte er mich wütend an. Ich setzte mich wieder.
»Trinken Sie aus, Wex. Hat keinen Sinn, so zu tun, als stünde kein Beam auf dem Tisch.«
Wexler grinste und nahm einen Schluck aus seinem Glas.
»Wissen Sie, Zwillinge oder nicht, Sie sind Ihrem Bruder sehr ähnlich. Sie geben nicht leicht auf. Und Sie können eine verdammt große Klappe haben. Ohne diesen Bart und das Hippie- Haar könnte man Sie glatt für ihn halten. Und wegen dieser Narbe müssten Sie natürlich auch etwas unternehmen.«
»Also, was ist mit dieser Akte?«
»Was soll damit sein?«
»Sie
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