Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
laut.
»Was?«
Er schaute auf. Charlie Condon stand in der Tür. Pierce hatte sie offen gelassen.
»Ach, nichts. Ich hab nur mit mir selbst gesprochen. Was machst du denn hier?«
Er merkte, dass Lilly Quinlans Adressbuch und ihre Post vor ihm ausgebreitet lagen. Beiläufig griff er nach dem Tagesplaner, den er immer auf dem Schreibtisch liegen hatte, schaute darauf, als wolle er einen Termin nachsehen, und legte ihn dann auf die Umschläge mit ihrem Namen.
»Als ich dich vorhin unter deiner neuen Nummer anrufen wollte, war Monica dran. Sie sagte, sie würde auf die Lieferung deiner Möbel warten, und du müsstest eigentlich hier sein. Aber als dann im Labor und in deinem Büro niemand dranging, bin ich hergekommen.«
Er lehnte sich an den Türrahmen. Charlie war ein gut aussehender Mann mit einer, wie es schien, immer gleich intensiven Bräune. Er hatte in New York mehrere Jahre als Model gearbeitet, aber dann hatte ihn das zu langweilen begonnen, und er hatte Betriebswirtschaft studiert. Miteinander bekannt gemacht worden waren sie von einem Investmentbanker, der wusste, dass es Condon hervorragend verstand, unterfinanzierte Hightechfirmen mit geeigneten Investoren zusammenzubringen. Pierce hatte sich mit ihm zusammengetan, weil Condon ihm versprochen hatte, das auch für Amedeo Technologies zu tun, ohne dass Pierce seine Anteilsmehrheit an die Investoren abtreten müsste. Als Gegenleistung hatte Charlie einen zehnprozentigen Anteil an der Firma erhalten, ein Einsatz, der einmal hunderte Millionen wert sein konnte – wenn sie den Wettlauf gewannen und mit dem Unternehmen an die Börse gingen.
»Ich habe deine Anrufe verpasst«, sagte Pierce. »Ich bin nämlich gerade hergekommen. War vorher noch eine Kleinigkeit essen.«
Charlie nickte.
»Ich dachte, du wärst im Labor.«
Was nichts anderes hieß als: Warum bist du nicht im Labor? Es gibt jede Menge Arbeit. Wir stehen gewaltig unter Druck. Wir müssen für einen Wal eine Präsentation vorbereiten. Du kannst dem Dime nicht von deinem Büro aus hinterherjagen.
»Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich gehe gleich runter. Ich wollte vorher nur noch die Post durchsehen. Du bist tatsächlich den weiten Weg hierher gekommen, um nach mir zu sehen?«
»Nicht wirklich. Aber wir haben nur bis Donnerstag Zeit, um für Maurice alles fertig zu kriegen. Ich wollte mich lediglich vergewissern, dass auch alles in Ordnung ist.«
Pierce fand, sie maßen Maurice Goddard zu viel Bedeutung bei. Ein unterschwelliger Hinweis darauf war auch, dass Charlie den Investor in seiner E-Mail God genannt hatte. Es traf zwar zu, dass ihre große Show am Donnerstag eine Sensation würde, aber Pierce begann sich zunehmend Sorgen zu machen, dass Charlie Condon zu stark auf den Deal mit Goddard baute. Sie suchten jemanden, der bereit war, mindestens drei oder vier Jahre lang ein Minimum von vier Millionen Dollar pro Jahr zu investieren. Wie Nicole James’ und Cody Zellers Nachforschungen ergeben hatten, belief sich Goddards Vermögen dank des Umstandes, dass er sehr früh in Unternehmen wie Microsoft investiert hatte, auf zweihundertfünfzig Millionen Dollar. Das nötige Geld hatte Goddard also, so viel stand fest. Aber wenn er sich nach der Präsentation am Donnerstag nicht zu substanziellen Investitionen bereit erklärte, mussten sie sich nach einem anderen Investor umsehen. Es wäre Condons Job, sich auf die Suche nach einem solchen zu machen.
»Mach dir deswegen mal keine Sorgen«, sagte Pierce. »Wir werden schon fertig. Wird Jacob auch kommen?«
»Auf jeden Fall.«
Jacob Kaz war der Patentanwalt der Firma. Sie hatten bereits achtundfünfzig Patente erhalten oder angemeldet, und am Montag nach der Präsentation würde er neun weitere Patentanmeldungen einreichen. Bei diesem Rennen hing alles von den Patenten ab. Hatte man die Patente, hatte man den Fuß in der Tür und würde eines Tages den Markt beherrschen. Die neun neuen Patentanmeldungen waren die ersten im Zusammenhang mit dem Proteus-Projekt. Die Nano-Welt würde Kopf stehen. Fast musste Pierce bei dem Gedanken lächeln. Und Charlie Condon schien seine Gedanken lesen zu können.
»Hast du dir die Patentanmeldungen schon angesehen?«, fragte er.
Pierce griff unter seinen Schreibtisch und klopfte mit der Faust auf den Stahlsafe, der dort am Boden festgeschraubt war. In ihm befanden sich die Patentanmeldungen. Pierce müsste sie noch einmal durchsehen, bevor sie eingereicht wurden, aber es war eine sehr trockene Lektüre, und
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