Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
reden, um mehr über sie zu erfahren.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ist das alles?«
»Eine letzte Sache. Ich habe sie am Samstagabend am Speedway in ein grün-gelbes Taxi steigen sehen. Vielleicht können Sie seine Fahrtstrecke zu ihrer Wohnung verfolgen.«
Renner schüttelte ganz leicht den Kopf.
»Das funktioniert vielleicht im Kino. Aber im richtigen Leben eher weniger. Außerdem ist sie wahrscheinlich in ihre Fickbude zurück. Samstagabends läuft das Geschäft immer am besten.«
Die Tür des Zimmers ging auf, und Monica Purl kam herein. Sie sah Renner und blieb in der Tür stehen.
»Oh, Entschuldigung. Komme ich –«
»Ja, Sie kommen ungelegen«, sagte Renner. »Eine Polizeiangelegenheit. Könnten Sie bitte draußen warten?«
»Ich komme einfach später noch mal her.«
Als Monica Pierce ansah, reagierte ihre Miene mit Entsetzen auf seinen Anblick. Pierce versuchte zu lächeln und hob die linke Hand und winkte.
»Ich rufe Sie an«, sagte Monica, und dann ging sie wieder durch die Tür und war verschwunden.
»Wer war das? Noch eine Freundin von Ihnen?«
»Nein, meine Assistentin.«
»Wollen Sie jetzt darüber reden, was gestern auf dem Balkon passiert ist? War das Wentz?«
Pierce sagte lange nichts, während er über die Konsequenzen nachdachte, die es haben könnte, wenn er diese Frage beantwortete. Vieles drängte ihn, Wentz zu nennen und Anzeige gegen ihn zu erstatten. Er fühlte sich durch das, was Wentz und sein Riese ihm angetan hatten, zutiefst gedemütigt. Selbst wenn die Gesichtsoperation glückte und ihm keine physischen Narben blieben, würde es zweifellos schwer, mit dieser Erfahrung zu leben, sie immer in Erinnerung zu haben. Es würden trotzdem Narben zurückbleiben.
Dennoch hatte sich Wentz’ Drohung in seinem Kopf als etwas sehr Reales festgesetzt – für ihn, für Robin und sogar für Nicole. Wenn es für Wentz so einfach gewesen war, ihn zu finden und in seine Wohnung einzudringen, dann wäre es für ihn auch kein Problem, Nicole aufzuspüren.
Schließlich sagte er: »Es ist ein Santa Monica-Fall. Was interessiert Sie das überhaupt?«
»Es ist alles ein einziger Fall. Das wissen Sie genau.«
»Ich will nicht darüber sprechen. Ich kann mich nicht mal erinnern, was passiert ist. Ich erinnere mich, ich habe Einkäufe in meine Wohnung hoch gebracht, und als ich wieder zu mir kam, machte sich der Notarzt an mir zu schaffen.«
»Mit dem menschlichen Verstand ist es schon so eine Sache. Wie er schlimme Dinge einfach verdrängt.«
Der Ton war sarkastisch, und der Ausdruck in Renners Gesicht verriet Pierce, dass er ihm seinen Gedächtnisverlust nicht abnahm. Die zwei Männer sahen sich einen Moment finster an, dann griff der Detective in seine Tasche.
»Wie ist es damit? Hilft Ihnen das auf die Sprünge?«
Er zog ein zusammengefaltetes zwanzig-mal-vierundzwanzig-Foto heraus und zeigte es Pierce. Es war eine grobkörnige Vergrößerung einer Aufnahme des Sands, die aus großer Entfernung gemacht worden war. Vom Strand aus. Als sich Pierce das Foto aus größerer Nähe ansah, konnte er auf einem der oberen Balkone ganz klein ein paar Leute erkennen. Es wusste, es war der zwölfte Stock. Er wusste, es waren er selbst und Wentz und sein Gorilla, Zwei-Meter. Pierce wurde an den Fußgelenken vom Balkon gehalten. Die Gestalten auf dem Foto waren zu klein, um erkennbar zu sein. Pierce gab es zurück.
»Nein. Leider nicht.«
»Vorerst ist es das beste Foto, das wir haben. Aber sobald sie in den Nachrichten durchgeben, dass wir Fotos, Videos, egal was, von dem Vorfall suchen, bekommen wir vielleicht etwas Brauchbares. Zum fraglichen Zeitpunkt waren eine Menge Leute am Strand. Irgendjemand von denen hat bestimmt eine bessere Aufnahme.«
»Viel Glück.«
Renner schwieg. Er sah Pierce lange an, bevor er weitersprach.
»Hören Sie, wenn er Ihnen gedroht hat, können wir Sie schützen.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, ich kann mich nicht daran erinnern, was passiert ist. Ich kann mich an gar nichts erinnern.«
Renner nickte.
»Sicher, sicher. Okay, dann lassen wir mal den Balkon. Aber dürfte ich Sie was anderes fragen? Sagen Sie mir doch, wo haben Sie Lillys Leiche versteckt?«
Pierce machte große Augen. Renner hatte ihn absichtlich in die falsche Richtung gelockt, um ihm diesen Schwinger zu verpassen.
»Was? Wollen Sie –«
»Wo ist sie, Pierce? Was haben Sie mit ihr gemacht? Und was haben Sie mit Lucy LaPorte gemacht?«
In Pierces Brust begann sich eisige Angst
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