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Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen

Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen

Titel: Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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auszubreiten. Ein Blick auf Renner verriet ihm, dass er es vollkommen ernst meinte. Und er war nicht irgendein Verdächtiger. Er war der Verdächtige.
    »Wollen Sie mich hier verarschen, oder was? Wenn ich Sie nicht verständigt hätte, wüssten Sie nicht mal was von der ganzen Sache. Ich war der Einzige, der sich überhaupt dafür interessiert hat.«
    »Sicher, aber dass Sie uns verständigt und überall rumgeschnüffelt haben, diente vielleicht nur dem Zweck, jeden Verdacht von sich abzulenken. Und vielleicht gilt das auch für die Abreibung, die Sie sich von Wentz oder einem ihrer anderen Kumpel haben verpassen lassen. Kriegt der arme Teufel auch noch eins auf die Nase dafür, dass er sie in Dinge gesteckt hat, die ihn nichts angehen. Denken Sie bloß nicht, dass Sie mir deswegen Leid tun, Mr. Pierce.«
    Sprachlos sah Pierce den Detective an. Renner betrachtete alles, was er getan hatte oder was ihm angetan worden war, aus einem genau entgegengesetzten Blickwinkel.
    »Darf ich Ihnen vielleicht schnell eine Geschichte erzählen«, sagte Renner. »Als ich noch oben im Valley arbeitete, hatten wir mal ein vermisstes Mädchen. Sie war zwölf, aus gutem Haus, und wir wussten, sie war keine Ausreißerin. Manchmal weiß man so was einfach. Also organisierten die Nachbarn und Freiwillige in den Encino Hills eine Suchaktion. Und siehe da, einer der Nachbarjungen findet sie. Vergewaltigt und erwürgt und in einem Abwasserkanal versteckt. Richtig üble Geschichte. Und wissen Sie was? Wie sich herausstellte, war es der Junge, der sie gefunden hatte. Hat eine Weile gedauert, bis wir auf ihn gekommen sind. Aber irgendwann sind wir es doch, und er hat gestanden. Derjenige zu sein, der sie so gefunden hat? Das nennt man Guter-Samariter-Komplex. Wer die Tat entdeckt, hat sie auch begangen. Passiert ständig. Der Täter biedert sich ganz bewusst bei den Cops an, zeigt sich besonders hilfsbereit, weil er sich dadurch besser vorkommen kann als sie und wegen seiner Tat nicht mehr ein so schlechtes Gewissen hat.«
    Pierce hatte Mühe, auch nur zu erahnen, wie sich alles gegen ihn hatte wenden können.
    »Sie irren sich«, sagte er ruhig, mit bebender Stimme. »Ich war es nicht.«
    »Ach ja? Ich irre mich? Dann will ich Ihnen mal sagen, was ich habe. Ich habe eine vermisste Frau und Blut auf dem Bett. Ich habe einen Haufen Ihrer Lügen und einen Haufen Ihrer Fingerabdrücke im Haus und in der Fickbude der Frau.«
    Pierce schloss die Augen. Er dachte an die Wohnung am Speedway und das Seemöwenhaus in der Altair. Er wusste, er hatte alles angefasst. Er hatte seine Hände auf alles gelegt. Auf ihr Parfüm, ihre Schränke, ihre Post.
    »Nein …«
    Das war alles, was ihm zu sagen einfiel.
    »Was nein?«
    »Das ist alles ein Missverständnis. Alles, was ich getan habe … ich meine … ich habe ihre Nummer gekriegt. Ich wollte nur sehen … ich wollte ihr helfen … wissen Sie, es war meine Schuld … und ich dachte, wenn ich …«
    Er sprach nicht zu Ende. Vergangenheit und Gegenwart lagen zu nah beieinander. Sie verschwammen ineinander, und das eine verfälschte das andere. Wie bei einer Sonnenfinsternis schob sich das eine vor das andere. Er öffnete die Augen und sah Renner an.
    »Was dachten Sie?«, fragte der Detective.
    »Was?«
    »Sagen Sie den Satz zu Ende. Sie dachten was?«
    »Ich weiß nicht. Ich will nicht darüber reden.«
    »Kommen Sie schon, Freundchen. Sie haben damit angefangen. Jetzt bringen Sie es auch zu Ende. Es ist gut, sein Herz auszuschütten. Gut für die Seele. Es ist Ihre Schuld, dass Lilly tot ist. Was haben Sie damit gemeint? Dass es ein Unfall war? Erzählen Sie mir, wie es dazu gekommen ist. Vielleicht kann ich ja damit leben, und wir können gemeinsam zum Bezirksstaatsanwalt gehen und ihm alles erzählen, gemeinsam versuchen, eine Regelung zu finden.«
    Pierce spürte, wie auf einmal Angst und Wut sein Denken überfluteten. Fast konnte er spüren, wie sie sich von seiner Haut absonderten. Als ob sie Chemikalien wären – chemische Verbindungen aus identischen Molekülen –, die an die Oberfläche stiegen, um zu entweichen.
    »Was reden Sie da? Lilly? Das ist nicht meine Schuld. Ich kannte sie nicht mal. Ich wollte ihr helfen.«
    »Indem Sie sie erwürgt haben? Ihr die Kehle aufgeschlitzt? Oder haben Sie die Jack-the-Ripper-Nummer mit ihr abgezogen? Soviel ich weiß, heißt es, der Ripper war Akademiker. Ein Doktor oder so was. Sind Sie der neue Ripper, Pierce? Ist es das, worauf Sie

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