Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
nicht um Gerechtigkeit. Das fand Pierce frustrierend, denn er wollte, dass ihm Langwiser seine Unschuld bestätigte und sie dann mit allen Mitteln verteidigte.
»Zuallererst«, sagte sie, »ist es ohne Leiche sehr schwer, eine Mordanklage gegen irgendjemanden zu erheben. Es ist machbar, aber sehr schwierig – besonders in diesem Fall, wenn man Lebenswandel und Erwerbsquelle des Opfers bedenkt. Ich meine, sie könnte weiß Gott wo sein. Und wenn sie tot ist, wird die Liste der Verdächtigen sehr lang ausfallen.
Zweitens wird es ihm auch nicht gelingen, Ihren Einbruch an einem Tatort mit einem möglichen Mord an einem anderen Tatort in Zusammenhang zu bringen. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft bereit wäre, diesen Sprung zu machen. Nur zu Ihrer Erinnerung, ich habe bei denen gearbeitet, und die Hälfte unserer Arbeit bestand darin, Cops wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Deshalb denke ich, dass Sie nichts zu befürchten haben, Henry, wenn sich keine einschneidenden Veränderungen ergeben. Und zwar in jeder Hinsicht.«
»Was könnten das für einschneidende Veränderungen sein?«
»Dass sie zum Beispiel die Leiche finden. Dass sie die Leiche finden und irgendwie mit Ihnen in Verbindung bringen.«
Pierce schüttelte den Kopf.
»Es kann sie gar nichts mit mir in Verbindung bringen. Ich kenne sie ja gar nicht.«
»Umso besser. Dann müssten Sie eigentlich aus dem Schneider sein.«
»Müsste ich?«
»Nichts ist jemals hundertprozentig. Vor allem nicht in der Rechtsprechung. Wir werden auf jeden Fall abwarten müssen.«
Langwiser zog noch einmal kurz ihre Notizen zurate, bevor sie schließlich sagte: »Okay, dann wollen wir mal Detective Renner anrufen.«
Pierce zog die Augenbrauen hoch – was davon noch übrig war –, und es tat weh. Er zuckte zusammen. »Renner anrufen? Warum?«
»Um ihn darüber in Kenntnis zu setzen, dass Sie einen Rechtsbeistand haben, und um zu sehen, was er dazu vorzubringen hat.«
Sie holte ein Handy aus ihrer Tasche und klappte es auf.
»Ich habe seine Karte wohl in meiner Brieftasche«, sagte Pierce. »Sie müsste in der Nachttischschublade sein.«
»Nicht nötig. Ich hab die Nummer im Kopf.«
Ihr Anruf in der Pacific Division wurde rasch entgegengenommen, und sie verlangte nach Renner. Es dauerte ein paar Minuten, aber schließlich bekam sie ihn dran. Während sie wartete, stellte sie das Telefon lauter und hielt es so an ihr Ohr, dass Pierce beide an dem Gespräch Beteiligten hören konnte. Sie zeigte auf ihn und legte dann den Finger an die Lippen, um ihm zu signalisieren, dass er sich nicht in das Gespräch einmischen sollte.
»Hallo, Bob, hier Janis Langwiser. Erinnern Sie sich noch an mich?«
Nach einer Pause sagte Renner: »Sicher. Aber ich habe gehört, Sie sind zur Gegenseite übergelaufen.«
»Sehr witzig. Hören Sie, ich bin gerade im St. John’s. Ich war bei Henry Pierce.«
Wieder eine Pause.
»Henry Pierce, der gute Samariter. Der Retter vermisster Nutten und Haustiere.«
Pierce spürte, wie sein Gesicht rot wurde.
»Sie sprühen heute ja geradezu vor witzigen Einfällen, Bob«, sagte Langwiser trocken. »Scheint eine ganz neue Seite an Ihnen zu sein.«
»Henry Pierce ist hier der Witzbold, bei den Geschichten, die er erzählt.«
»Genau das ist übrigens der Grund meines Anrufs. Keine weiteren Geschichten mehr von Henry, Bob. Ich vertrete ihn, und er spricht nicht mehr mit Ihnen. Sie haben die Chance, die Sie hatten, vertan.«
Pierce sah zu Langwiser hoch, und sie zwinkerte ihm zu.
»Ich habe gar nichts vertan«, protestierte Renner. »Sobald er mir die ganze und wahre Geschichte erzählen will, bin ich jederzeit bereit. Ansonsten –«
»Augenblick, Detective, Sie sind mehr daran interessiert, meinen Mandanten einzulochen, als herauszufinden, was wirklich passiert ist. Damit ist jetzt Schluss. Ab sofort lassen Sie die Finger von Henry Pierce. Und noch etwas. Sollten Sie versuchen, damit vor Gericht zu gehen, breche ich Ihnen mit dieser Zwei-Tonbänder-Nummer das Genick.«
»Ich habe ihm gesagt, dass ich alles aufzeichne«, protestierte Renner. »Ich habe ihm seine Rechte verlesen, und er sagte, er hätte sie verstanden. Das ist alles, was ich tun muss. Ich habe bei diesem freiwilligen Gespräch nichts Rechtswidriges getan.«
»Vielleicht nicht per se, Bob. Aber Richter und Geschworene mögen keine Cops, die Leute austricksen. Sie sehen lieber ein faires Spiel.«
An dieser Stelle machte Renner eine
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