Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
lange Pause, und Pierce dachte schon, Langwiser würde zu weit gehen und den Detective vielleicht so reizen, dass er den Fall aus purer Wut oder Trotz vor Gericht brächte.
»Sie sind also tatsächlich auf die andere Seite übergewechselt?«, sagte Renner schließlich. »Hoffentlich werden Sie dort auch froh.«
»Also, wenn ich nur Mandanten wie Henry Pierce kriege, Leute, die nur etwas Gutes zu tun versuchen, ganz bestimmt.«
»Etwas Gutes? Ich frage mich, ob Lucy LaPorte findet, dass das, was er getan hat, etwas Gutes war.«
»Hat er sie gefunden?«, platzte Pierce heraus.
Langwiser hielt sofort die Hand hoch, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»War das gerade Mr. Pierce? Ich wusste gar nicht, dass er mithört, Janis. Wenn wir schon von Tricks reden – war wirklich nett von Ihnen, es mir zu sagen.«
»Dazu war ich nicht verpflichtet.«
»Und ich war nicht verpflichtet, ihm von dem zweiten Tonbandgerät zu erzählen, nachdem ich ihn darauf hingewiesen hatte, dass das Gespräch aufgezeichnet wird. Das können Sie sich also in den Arsch stecken. Ich muss jetzt los.«
»Halt. Haben Sie Lucy LaPorte gefunden?«
»Das ist eine offizielle Polizeiangelegenheit, Ma’am. Kümmern Sie sich um Ihren Kram, und ich kümmere mich um meinen. Auf Wiedersehen.«
Renner hängte auf, und Langwiser klappte ihr Handy zu.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollten still sein.«
»Entschuldigung. Ich versuche nur schon seit Sonntag, sie zu erreichen. Ich würde einfach gern wissen, wo sie ist und ob es ihr gut geht oder ob sie Hilfe braucht. Wenn ihr etwas zugestoßen ist, ist es meine Schuld.«
Da haben wir es schon wieder , dachte er. Denkt, er ist an allem Möglichem schuld, und muss es auch noch gleich hinausposaunen, damit jeder es hören kann.
Langwiser schien es nicht aufgefallen zu sein. Sie packte Handy und Notizblock weg.
»Ich werde ein bisschen herumtelefonieren. Ich kenne in der Pacific Division einige Leute, die etwas mitteilsamer sind als Detective Renner. Sein Chef zum Beispiel.«
»Rufen Sie mich an, sobald Sie was rausgefunden haben?«
»Ich habe Ihre Nummern. Aber halten Sie sich sonst aus allem raus. Mit ein bisschen Glück wird Renner sich nach diesem Anruf seine nächsten Schritte etwas besser überlegen. Aber um ganz Entwarnung zu geben, ist es noch zu früh, Henry. Sie sind zwar mehr oder weniger aus dem Schneider, aber man weiß nie, was noch alles passieren kann. Halten Sie sich also raus, und lassen Sie die Finger von der Sache.«
»Okay, mache ich.«
»Und wenn das nächste Mal ein Arzt kommt, lassen Sie sich eine Liste der Medikamente von ihm geben, die Sie eingenommen haben, bevor Renner das Gespräch mit Ihnen aufgenommen hat.«
»Okay.«
»Wissen Sie schon, wann Sie entlassen werden?«
»Angeblich jeden Augenblick.«
Pierce sah auf die Uhr. Er wartete schon fast zwei Stunden, dass ihn Dr. Hansen nach Hause ließ.
Er sah wieder Langwiser an. Sie machte den Eindruck, als wolle sie gehen. Aber sie sah ihn an, als wolle sie ihn etwas fragen, ohne jedoch zu wissen, wie sie es ihn fragen sollte.
»Was ist?«
»Ich weiß nicht. Ich dachte nur gerade, dass das ein ziemlich großer Gedankensprung war. Als Sie noch ein Junge waren, meine ich, und dachten, Ihre Schwester wäre wegen Ihres Stiefvaters von zu Hause ausgerissen.«
Pierce sagte nichts.
»Gibt es sonst noch etwas, was Sie mir darüber erzählen möchten?«
Pierce schaute wieder zu dem dunklen Fernsehschirm hoch und sah dort nichts. Er schüttelte den Kopf.
»Nein, das war alles.«
Er bezweifelte, dass er sie damit überzeugt hatte. Vermutlich hatten Strafverteidiger notgedrungen ständig mit Lügnern zu tun und registrierten minimale Veränderungen in Blick und Körperhaltung ebenso genau wie die dafür entworfenen Geräte. Aber Langwiser nickte bloß und beließ es dabei.
»Tja, ich muss jetzt los. Ich habe in der Stadt einen Gerichtstermin.«
»Okay. Danke, dass Sie gekommen sind. Das war nett von Ihnen.«
»Das gehört zum Service. Ich werde unterwegs ein paar Anrufe machen und gebe Ihnen sofort Bescheid, wenn ich etwas über Lucy LaPorte oder sonst etwas Neues erfahre. Aber bis dahin lassen Sie bitte unbedingt die Finger von der Sache. Okay? Konzentrieren Sie sich wieder auf Ihre Arbeit.«
Pierce hob kapitulierend die Hände.
»Es war mir eine Lehre.«
Sie lächelte geschäftsmäßig und verließ das Zimmer.
Pierce nahm das Telefon aus der Halterung am Bettgeländer und wollte gerade Cody Zellers Nummer wählen,
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